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Germanistische Sprachwissenschaft

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Fanmeile

  • 2006, Platz 1

Im Sommer 2006 war in Deutschland „die Welt zu Gast bei Freunden“ – so das offizielle Motto der Fußballweltmeisterschaft, der lange erwarteten WM im eigenen Land. Das Großereignis lockte Besucher aus aller Welt an. Selbst Zeitgenossen, die ansonsten für die „schönste Nebensache der Welt“ nicht allzu viel übrig haben, wurden vom Fußballfieber erfasst. Die Stimmung im Land war, verglichen mit den Vorjahren, deutlich besser: Halb ungläubig erlebte sich Deutschland kollektiv unverkrampft und in Partylaune. Vermeintlich typisch deutsche Sichtweisen wie „Das Glas ist halb leer“ hatten auf einmal ausgedient. Selbst der lang ersehnte wirtschaftliche Aufschwung, der in der zweiten Jahreshälfte immer deutlicher erkennbar wurde, stand für viele in unmittelbarem Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft – Gründe genug für die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache, gleich drei Ausdrücke aus dem Themenbereich WM in die Liste der Jahreswörter aufzunehmen: Fanmeile (Platz 1), Klinsmänner (Platz 9) und schwarz-rot-geil! (Platz 10).

Unter Fanmeilen versteht man öffentliche Räume, in denen große Menschenmengen Sportübertragungen auf Großbildleinwänden verfolgen können. Ursprünglich waren sie dafür gedacht, Fans, die keine Eintrittskarten zu den Stadien bekommen hatten, zumindest mittelbar bei den Spielen dabei sein zu lassen. Die Notlösung entwickelte jedoch einen eigenen Reiz und das gemeinsame öffentliche Fußballgucken – Public Viewing genannt – erfreute sich rasch großer Beliebtheit. Hunderttausende Fußballbegeisterte aus aller Welt feierten in entspannt-friedlicher Atmosphäre ihre Mannschaften, den Fußball, vor allem aber sich selbst.

Bereits im Jahr 2005 war Fanmeile ein oft zu hörendes und zu lesendes Wort gewesen. Der Berliner Senat hatte zunächst die Möglichkeit diskutiert, einen WM-Park im Spreebogen einzurichten, zog dann aus Sicherheitsgründen jedoch die Straße des 17. Juni vor. „Fanmeile an der Siegessäule“, meldete daraufhin der Tagesspiegel (13. 11. 2005). Die viel befahrene Straße wurde sechs Wochen lang auf 2,7 Kilometern für den Verkehr gesperrt; der dadurch zur Verfügung stehende Raum entsprach vierzehn Fußballfeldern. Auf insgesamt neun Großbildleinwänden sahen dort bis zu eine Dreiviertelmillion Zuschauer die Spiele.

Auch in anderen Städten gab es Fanmeilen, so in Hamburg, München, Gelsenkirchen, Dortmund, Leipzig und Köln. In Frankfurt am Main diente das Museumsufer als Public Viewing Area.

Am Ende blieb zwar für die Klinsmänner, die im Halbfinale gegen Italien scheiterten, nur der dritte Platz, aber bei der Abschiedsveranstaltung der Nationalmannschaft auf der Berliner Fanmeile feierten am 9. Juli 2006 mehr als 800 000 Menschen ihre Weltmeister der Herzen.    ⋄    Jochen A. Bär


 

 

Problembär

  • 2006, Platz 7

Im Mai 2006 wanderte aus dem italienischen Naturpark Adamello-Brenta ein Braunbär über Österreich bis nach Deutschland, wo er in den bayerischen Alpen mehrfach gesichtet wurde. In den Medien erhielt er den Namen Bruno. Offenbar entstammte er einer Problemfamilie. Wie sein 2008 in Graubünden abgeschossener jüngerer Bruder hatte er seine Neigung, sich in die Nähe des Menschen zu begeben, wohl von der Mutter erlernt. Er brach Bienenstöcke auf, drang in Hühner- und Kaninchenställe ein und riss etliche Schafe und Ziegen.

Während er durchs Gelände tapste, rauschte es gehörig im Blätterwald: „Politiker streiten über Todes-Schuß“, titelte die Bild-Zeitung (25. 5. 2006): „Bär macht alle balla-balla!“ B-Alliterationen hatten Konkunktur. Der beim Umwelt-Landesamt für Raubtiere zuständige Mitarbeiter Manfred Wölfl wurde kurzerhand zum bayerischen Bärenbeauftragten erklärt (ebd.). Zuvor hatte Bruno sogar schon Post erhalten: vom Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner. „Lieber Braunbär“, schrieb dieser, „du hast dich ins Gummibärchen-Land verirrt, wo es keine richtigen Wälder mehr gibt, sondern Ziersträucher und Pudel, die in der Bären-Hauptstadt Berlin zum Friseur Udo Walz gehen. [...] Lieber Bär, lauf schnell weg aus dem Gummibärchen-Land, wo nur die Schmusetiere überleben.“ (Bild, 22. 5. 2006.)

Im Bundestag formierte sich eine Bären-Lobby (Bild, 23. 5. 2006). Tierschutzbeauftragte der SPD, der FDP und der Grünen bildeten spontan eine Ampelkoalition und appellierten an den bayerischen Umweltminister Werner Schnappauf, den Bären leben zu lassen. Doch nach vier Wochen erfolgloser Versuche, Bruno lebend zu fangen, wurde die Abschussgenehmigung erteilt, und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber rechtfertigte die Entscheidung in einer seiner legendären Pressekonferenzen: „Äh, natürlich freuen wir uns, das ist gar keine Frage, freuen wir uns, und die Reaktion war völlig richtig, einen, äh, sich normal verhaltenden Bär in Bayern zu haben [...]. Nun haben wir, der normal verhaltende Bär lebt im Wald, geht niemals raus und reißt vielleicht ein bis zwei Schafe im Jahr. Äh, wir haben dann einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär und dem äh Problembär. [...] Ich habe sehr viel Verständnis für all diejenigen, die jetzt sagen: Um Gottes Willen, ähm, äh, der Bär und warum muss der gleich jetzt äh abgeschossen werden bzw. muss eine Abschusserlaubnis gegeben werden, nur: Wenn die Experten sagen, das ist ein absoluter äh, das ist ein absoluter Problembär, äh, da gibt es nur die Lösung, ihn zu beseitigen weil einfach die Gefahr so groß ist, da hat der Minister keine andere Möglichkeit als eben so zu handeln, wie er gehandelt hat.“

Das Wort Problembär, das Stoiber mit diesem Stammel-Statement bekannt machte, ist eigentlich ein Fachausdruck. Laut Konzept Bär, dem Managementplan für den Braunbären in der Schweiz, von deren größerer Erfahrung mit frei lebenden Bären man in Deutschland profitierte, unterscheidet man drei Typen von Bären: „Unauffälliger Bär“, „Problembär“ und „Risikobär“. Unter einem Problembären versteht man demnach einen Bären, der sich zur Nahrungssuche oft in die Nähe von Siedlungen begibt, dabei Schäden anrichtet und durch seine mangelnde Menschenscheu bei Begegnungen mit Menschen gefährlich zu werden droht.

Am frühen Morgen des 26 . Juni 2006 wurde der vom Problem- zum Risikobären „Beförderte“ auf der Kümpflalm im Gemeindebereich Bayrischzell erlegt. Der Aufschrei in der teilnehmenden Öffentlichkeit war groß, sind Bären doch echte Sympathieträger. Man erkennt dies nicht nur am Rummel um Bruno oder um das Ende 2006 im Berliner Zoo geborene Eisbärenbaby Knut, sondern auch an dem seit Jahrzehnten ungebrochen großen Absatz, den die Spielzeugindustrie bei Stoffbären verzeichnet. Und nicht zu vergessen: 1999 bis 2001 gab es in der Sketchshow Die Wochenshow die Kultfigur „Erklärbär“ (dargestellt von Markus Maria Profitlich). Denn im Allgemeinen ist der Bär nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.    ⋄    Jochen A. Bär