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Reformstau

  • 1997, Platz 1

„Reformstau – selten haben unsere Wiesbadener Sprachexperten ein so einleuchtendes ‚Wort des Jahres‘ gefunden“, schrieb Matthias Friedrich im Wiesbadener Kurier (31. 12. 1997). Allerdings: Dieselbe Wahl „hätte auch schon vor dreißig Jahren geschehen können. Die Politik sah damals ähnlich einfallslos und unbeweglich aus wie heute und provozierte ähnliche Reaktionen“ (FAZ, 9. 1. 1998).

Dass 1997 angestrebte Reformen – vor allem in den Bereichen der Steuer-, Gesundheits- und Arbeitspolitik – nicht zustande kamen, lag daran, dass die SPD, die über eine Mehrheit im Bundesrat verfügte, ihre Zustimmung zu den Gesetzesentwürfen der Koalition von CDU/CSU und FDP verweigerte. Die Regierung warf der Opposition daraufhin eine Blockadehaltung vor.

Unter einer eigenen Rubrik „Reformen“ konnte bereits im Frühjahr der Spiegel (21. 4. 1997) nur Fehlanzeigen vermelden. Im April mahnte Bundespräsident Roman Herzog in seiner Berliner Adlon-Rede (Ruck durch Deutschland) dringenden Reformbedarf an und beklagte eine innere „Erstarrung“ in Politik und Gesellschaft. Inhaltlich daran anlehnend wurde immer wieder ein „Reform- und Modernisierungsstau“ (Frankfurter Rundschau, 3. 7. 1997) konstatiert – so häufig, dass die Süddeutsche Zeitung (27./28. 9. 1997) Reformstau zum „Haßwort der Woche“ erklärte: „Kaum ein Politikermund, aus dem das wehrlose Wörtchen derzeit nicht zu jeder halbwegs passenden Gelegenheit herauspurzelt. [...] Ein ganzes Land von Reformwütigen scheint festzusitzen. [...] Eine Reform gibt es nur noch bei den Wahlabend-Verlautbarungen – der Reformstau bringt eine Floskel mehr ins 60-Wort-Vokabular der Parteisprecher.“

Sogar ins Englische fand das Wort Eingang. Es müsse deutschen Politikern zu denken geben, so der baden-württembergische Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder, dass das Wort im angelsächsischen Sprachraum nicht übersetzt werde, „weil man ein solches Phänomen dort nicht kennt“ (FAZ, 11. 12. 1997).

Doch es gab auch warnende Stimmen: „Es wäre fatal, wenn die unvermeidlichen Umständlichkeiten des Verfassungsstaats [...] als undynamisch und inflexibel, als Wettbewerbs- und Standortnachteile unter Beschuß gerieten. Es gibt nicht nur die Gefahr der Unbeweglichkeit, des vielberedeten Reformstaus, sondern auch die der Hysterie.“ (Berliner Zeitung, 11. 7. 1997).    ⋄    Jan Barz