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Nulllösung

  • 1981, Platz 1

Auffallend bei dem Kompositum Nulllösung (nach alter Rechtschreibung mit lediglich zwei l) ist seine Doppeldeutigkeit: Null kann die (erwartete oder geforderte) Lösung eines wie auch immer gearteten Problems sein, die Nulllösung kann aber auch gleichzusetzen sein mit dem Nichtvorhandensein oder der Unmöglichkeit einer Lösung.

Während des Kalten Krieges gab es immer wieder Versuche der Verständigung und der Annäherung. Seit 1969 führten die beiden Supermächte USA und UdSSR Gespräche zur Begrenzung strategischer Waffen (Strategic Arms Limitation Talks, kurz SALT ), die 1972 bzw. 1979 zu Rüstungsbegrenzungsabkommen (SALT I bzw. SALT II ) führten. Seit 1973 tagte zudem die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), und 1975, bei der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki, sah es so aus, als ob eine Entspannung möglich sei. Gleichwohl ersetzte Mitte der 70er Jahre die Sowjetunion ihre auf Westeuropa gerichteten atomaren Mittelstreckenraketen, die von den SALT-Abkommen nicht betroffen waren, durch moderne SS-20-Raketen mit größerer Sprengkraft. 1977 forderte daher der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt, der das strategische Gleichgewicht in Europa gefährdet sah, das nordatlantische Bündnis zu Gegenmaßnahmen auf. Infolgedessen kam es im Dezember 1979 zum so genannten Nato-Doppelbeschluss: Die Bündnispartner einigten sich da-rauf, der Sowjetunion Abrüstungsverhandlungen anzubieten und, falls diese nicht innerhalb von vier Jahren zum Erfolg führen sollten, das Rüstungsgleichgewicht durch eine Nachrüstung mit Marschflugkörpern und Pershing-II-Raketen wiederherzustellen.

Am 30. November 1981 begannen in Genf die Abrüstungsverhandlungen. Das Verhältnis war angespannt. US-Präsident Ronald Reagan hatte nach seinem Amtsantritt im Januar desselben Jahres die militärische Aufrüstung seines Landes mit einem Budget von 1,5 Milliarden Dollar auf ein neues Rekordniveau gebracht. Zudem forderte Reagan von der Sowjetunion, nicht nur einige, sondern all ihre Mittelstreckenraketen aus Europa abzuziehen. Sei diese Nulllösung erreicht, wolle er seinerseits die in Europa stationierten amerikanischen Raketen zurücknehmen.

Die Maximalforderung des US-Präsidenten war für die UdSSR nicht zu erfüllen, denn Engländer wie Franzosen besaßen ebenfalls Mittelstreckenraketen. Außerdem verfügten die USA über solche Waffen auch auf ihren Flugzeugträgern, die Reagan nicht aufgeben wollte. Besonders bedeutsam war die Nulllösung für die Bundesrepublik, da sie sich im Brennpunkt des Konfliktes befand: Der Nato-Doppelbeschluss sah vor, dass bei Scheitern der Verhandlungen die neuen US-Mittelstreckenraketen vor allem in Westdeutschland stationiert werden sollten. Diese Aussichten führten zu heftigen innenpolitischen Debatten und zu Massenprotesten der Friedensbewegung. Trotzdem stellte 1983 der deutsche Bundestag das Scheitern der Genfer Verhandlungen fest und beschloss, dem Beginn der Nachrüstung zuzustimmen.

Erst 1985 mit Amtsantritt von KPdSU-Generalsekretär Michail Gor-batschow, der neben Glasnost und Perestroika auch eine neue Entspannungspolitik vertrat, kam erneut Bewegung in die Abrüstungsgespräche, und Ende 1987 gelang schließlich die Einigung auf eine so genannte doppelte Nulllösung: den beiderseitigen Abbau sämtlicher Mittelstreckenwaffen. Damit war nach Jahren der ergebnislosen Verhandlungen die zweite Deutungsmöglichkeit des Wortes Nulllösung – ›keine Lösung‹ – historisch überholt und der Kalte Krieg faktisch zu Ende.    ⋄    Ruben von Skerst