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Germanistische Sprachwissenschaft

Öffentlichkeitsaktivitäten

Wörter des Jahres


 

 

Teuro

  • 2002, Platz 1

Am 1. Januar 2002 wurde sie alltäglich greifbare Realität: die europäische Währungsunion. Von diesem Tag an gab es im Euroland die vom früheren Bundesfinanzminister Theo Waigel auf den Namen Euro getaufte neue Währung in Form von Münzen und Banknoten; im bargeldlosen Zahlungsverkehr war sie bereits zwei Jahre zuvor gültig geworden. Nachdem den Deutschen in einer großen Werbekampagne seit Sommer 2001 nahe gelegt worden war, ihr letztes Mark- und Pfennigmetall rechtzeitig einzuzahlen, konnten sie zwei Wochen vor der offiziellen Erstausgabe – in den Medien vielfach E-Day genannt – erste Bekanntschaft mit dem neuen Geld schließen: Viele Banken verkauften Tütchen mit Euromünzen im Wert von 10,23 Euro oder 20 DM, für die vom Amtsdeutsch (Haushaltsmischung) über das Alltagsdeutsch (Europäckchen) bis zum PR-Deutsch (Starter-Kit) ebenso vielfältige wie kurzlebige Ausdrücke geprägt wurden.

Die Umstellung selbst und die ersten Zahlungen verliefen in Deutschland ohne Schwierigkeiten – doch vielfach nicht ohne böse Überraschungen: „Kaum war er in den Geldbeuteln der Bundesbürger, gelangte der Euro als ‚Teuro‘ zu zweifelhaftem Ruhm“ (Weinheimer Nachrichten, 21. 12. 2002). Denn fast allenthalben wurde durch großzügiges Aufrunden der ungeraden Europreise die Währungsumstellung zu einer versteckten Preiserhöhung genutzt. Korrekt umgerechnet worden wäre zum Kurs von 1,95583 : 1 – d. h., was früher fünf Mark kostete, hätte fortan 2,56 Euro (nicht aber beispielsweise 2,60 Euro) kosten dürfen.

Zwar wurde die Teuerung seitens des Handels und in der Politik vielfach geleugnet, und auch das Statistische Bundesamt wollte in seinem Jahresrückblick von einem durch die Euroeinführung bedingten Preisanstieg im Jahr 2002 nichts wissen. Kritiker monierten allerdings, in dieser Bilanz habe man gerade solche Produkte nicht berücksichtigt, deren Preise besonders angezogen hätten, und Ende Dezember mochte selbst Wim Duisenberg, der Präsident der Europäischen Zentralbank, einen Zusammenhang zwischen den gestiegenen Lebenshaltungskosten und dem neuen Geld nicht ausschließen.

Wer das aus teuer und Euro zusammengezogene Wort Teuro „erfunden“ hat, ist unsicher. In Betracht kommen könnte der Journalist Jochen Schuster, der im Mai 2001 im Focus vor dem Teuro gewarnt hatte und für diese Wortschöpfung mit dem Pons-Medienpreis des Klett-Verlages ausgezeichnet worden war. Doch auch andere reklamierten den Ausdruck als ihr geistiges Eigentum.

Die Sprachwissenschaft bezeichnet Zusammenziehungen oder Wortkreuzungen wie Teuro als Kontaminationen (von lat. contaminare ›in Berührung bringen‹). Sie kommen als versehentliche sprachliche „Kurzschlüsse“ vor, aber auch als absichtsvolle Prägungen, die in pointierter Weise einen komplexen Sachverhalt beschreiben sollen – z. B. in Medizyniker (aus Mediziner und Zyniker) oder in Ostalgie. Mit Teuro ist eine solche Pointe nach Ansicht der Gesellschaft für deutsche Sprache geglückt. Wie auf einer Pressekonferenz am 20. Dezember 2002 erklärt wurde, hatte die Jury einhellig befunden, die Wortbildung bringe „kreativ und prägnant zugleich“ ein „Gefühl vieler Menschen“ zum Ausdruck und sei daher würdig, „das“ Wort des Jahres 2002 zu heißen.    ⋄    Jochen A. Bär


 

 

Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz

  • 2002, Platz 9

Dass die deutsche Sprache für „Wortungetüme“ besonders anfällig ist, wusste schon Mark Twain. In seinem 1878 entstandenen Aufsatz The Awful German Language (Die abscheuliche deutsche Sprache) diagnostiziert er die deutsche Krankheit „Zusammensetzungsseuche“ („compounding disease“) und äußert die Auffassung, gewisse deutsche Wörter seien gar keine Wörter, sondern „Buchstabenprozessionen“ („alphabetical processions“).

Der Unterschied zwischen den jeweils doppelteiligen englischen Originalausdrücken und ihren nur aus einem Wort bestehenden deutschen Übersetzungen ist signifikant: Im Englischen – aber auch im Französischen, Italienischen, Spanischen und in vielen anderen europäischen Sprachen – muss man komplexe Sachverhalte durch Ausdrücke umschreiben, die aus mehreren einzelnen Wörtern bestehen. Hingegen kann man im Deutschen aus verschiedenen Wörtern zusammengesetzte Ausdrücke (so genannte Komposita) bilden, deren Elemente ihre Eigenständigkeit in der Zusammensetzung aufgegeben haben. Viele dieser Bildungen bleiben allerdings recht locker gefügt, können inhaltlich vollständig als die Summe ihrer Teile erklärt werden und sind deshalb auch nicht in Wörterbüchern berücksichtigt. In der Sprachwissenschaft werden vor allem Substantivkomposita verschiedentlich als Phänomene einer mittleren Ebene zwischen Wort und Satz betrachtet (z. B. bei Pavlov 1972). Ein Argument dafür kann sein, dass bei ihnen anders als bei Wörtern im engeren Sinne die Ausdrucksgrenze nicht notwendig zugleich eine Sinneinheit markiert. Will man beispielsweise ein aus Grundwort und Bestimmungswort zusammengesetztes Substantiv durch ein Adjektiv näher erläutern, so bezieht sich Letzteres im Deutschen üblicherweise auf das Grundwort; Fügungen wie dreistöckiger Hausbesitzer oder siebenköpfiger Familienvater wirken deshalb unfreiwillig komisch. Nicht selten zielt aber – und durchaus auch in der so genannten „guten Literatur“ – das Adjektiv dennoch auf das Bestimmungswort, etwa wenn von protestantischer Kirchengeschichte (H. Heine) oder solventen Käuferschichten (L. Feuchtwanger) die Rede ist. Ausdruckseinheit und Sinneinheit sind dann nicht identisch; der Sinnkomplex beginnt jenseits der Wortgrenze und endet mitten im Wort (protestantische Kirchen|geschichte, solvente Käufer|schichten).

Da die Kompositabildung zur beständigen Erweiterung des deutschen Wortschatzes beiträgt, vor allem in der Amts- und Gesetzessprache jedoch oft groteske Blüten treibt, schien sie der Gesellschaft für deutsche Sprache bereits in früheren Jahren einiger Aufmerksamkeit wert zu sein (Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz). 2002 wählte sie mit dem Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz einen vergleichsweise harmlosen, aus nur vier (allerdings ihrerseits komplexen) Substantiven zusammengesetzten Ausdruck unter die Wörter des Jahres, mit dem freilich zugleich dokumentiert wurde, dass das Dauerthema Gesundheitsreform nach wie vor zu den großen politischen Aufgaben gehört. Eine Tatsache, an der auch der 2003 zwischen Regierung und Opposition ausgehandelte „Pakt gegen den Patienten“ (Spiegel, 28. 7. 2003) nichts änderte, bei dem Ärzte und Pharmaindustrie vergleichsweise wenig zur Kasse gebeten wurden: „Nach der Reform ist vor der Reform“ (ebd.).    ⋄    Jochen A. Bär