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Wellenbrecher

  • 2021, Platz 1

Nach 2020 stand auch das Jahr 2021 durchgängig im Zeichen der weltweiten Corona-Pandemie. Die Krankheit verlief in mehreren Wellen: Ließen die Infektionszahlen und Sterbefälle zeitweise erkennbar nach, so stiegen sie, sobald die Schutzmaßnahmen gelockert wurden, immer wieder an. Auf eine erste Welle im Frühjahr 2020 folgte die zweite im Herbst und Winter und die dritte im Frühjahr 2021. Doch während im Sommer 2021 die Politik teilweise bereits das Ende der Pandemie ausrief, warnte die Wissenschaft vor einer vierten Welle, die dann tatsächlich im November 2021 über das Land schwappte. Die Zahl der „an und mit“ Covid-19 Verstorbenen wurde sechsstellig. Nun sprachen sich viele, die eben noch für Öffnungen waren, wieder für konsequentes Handeln aus. Selbst eine allgemeine Impfpflicht, die bis dahin kaum jemand ernsthaft zu fordern gewagt hatte, wurde nun nicht mehr ausgeschlossen. Die Rede vom Brechen der Welle hatte Konjunktur. „Booster-Impfung für alle, neue Hilfen, mehr Tests: So wollen die Gesundheitsminister die Coronawelle brechen“, berichtete das Handelsblatt (5. 11. 2021), während beispielsweise die Zeit sprachlich näher beim eigendynamischen Naturereignis blieb: „Die vierte Welle bricht“, meldete sie optimistisch (2. 12. 2021).

Nichts lag daher näher, als auch das Wort Wellenbrecher im Zusammenhang der Pandemie zu verwenden. Während man dieses, dem 10-bändigen Dudenwörterbuch zufolge, bislang nur im Küstenschutz und im Schiffbau kannte – es bedeutet „Anlage (Damm o. Ä.), die anlaufende Wellen brechen soll“ bzw. „auf dem Vordeck von Schiffen angebrachtes, v-förmig gewinkeltes Stahlblech, das überkommende Wellen brechen und seitlich ablenken soll“ – und noch 2020 die meisten Fundstellen diese herkömmlichen Lesarten zeigten, wurde es 2021 immer häufiger pandemiebezogen gebraucht. So forderte Sachens Ministerpräsident Michael Kretschmer, Regierungschef des Bundeslandes mit den höchsten Inzidenzwerten, einen „harten und klaren Wellenbrecher“ (Welt, 18. 11. 2021) und meinte damit eine Verordnung, die einem „Lockdown für Ungeimpfte“ (Leipziger Volkszeitung, 8. 11. 2021) gleichkam. Anfang Dezember einigten sich Bund und Länder auf einen „großen Wellenbrecher-Plan“ (Tagesspiegel, 2. 12. 2021). Doch nicht nur auf Maßnahmen, sondern auch auf die Zeiträume, in denen sie gelten, konnte das Wort angewandt werden: „Sachsen im ‚Wellenbrecher‘“, titelte beispielsweise die Saarbrücker Zeitung (22. 11. 2021). Und auch Einzelpersonen, die sich nach solchen Maßnahmen richten, konnten gemeint sein: „Ob geimpft oder ungeimpft: Jetzt müssen wir alle nochmal ran. Hier lesen Sie, wie Sie zum Wellenbrecher werden“, empfahl eine Ratgeber-Plattform (www.netdoktor.de, 2. 12. 2021).

Bei all diesen Verwendungsweisen handelt es sich um übertragene Wortgebräuche: sogenannte Metaphern oder Metonymien. Das sind durchaus alltägliche Phänomene eines lebendigen Sprachgebrauchs; nicht selten gehen sie dauerhaft in das Bedeutungsspektrum eines Wortes ein und finden dann normalerweise auch ihren Weg ins Wörterbuch. Handelt es sich allerdings um mehr oder weniger jahrestypische Verwendungsweisen, die aller Gebrauchshäufigkeit zum Trotz in Vergessenheit geraten, wenn sich das damit Gemeinte erledigt hat, so bleibt ihnen allenfalls ein Platz in den Wortannalen der Gesellschaft für deutsche Sprache. Bei Wellenbrecher mit Corona-Bezug wird man wohl davon ausgehen dürfen: Es wird später einmal – hoffentlich – nur noch historisch an das Pandemiejahr 2021 erinnern.    ⋄    Jochen A. Bär