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Germanistische Sprachwissenschaft

Wissenschaftstransfer – Öffentlichkeitsaktivitäten

Das Jahr der Wörter

(121) 1. Mai – Arbeit

Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit. „Logischerweise“ arbeitet man an diesem Tag gerade nicht. Bis auf den OV-Kolumnisten: Er arbeitet Folgendes heraus: Arbeit ist ein im öffentlichen wie im privaten Leben zentrales Wort; das damit Gemeinte bestimmt wesentlich die moderne Existenz. Durch Arbeit verdient man seinen Lebensunterhalt. Den Hauptteil des Tages verbringt man am Arbeitsplatz – zumindest wenn man einen hat.

Das Wort Arbeit scheint durchgängig positiv besetzt zu sein: Man spricht anerkennend von einer guten, schönen und abschätzig von einer schlampigenArbeit; bewundert wird eine gewaltige oder Mordsarbeit; Sympathien hat, wer ganze Arbeit leistet. Im real existierenden Sozialismus gab es die Auszeichnung Held der Arbeit. Nicht einmal die Pervertierung des Arbeits-Ethos durch die Nationalsozialisten, die über den Eingangstoren der meisten ihrer Vernichtungslager (außer in Buchenwald) mit kaum zu überbietendem Zynismus die Parole „Arbeit macht frei“ anbrachten, konnte etwas daran ändern: Arbeit scheint in unserer Gesellschaft einen Wert an sich darzustellen.

Das war nicht von jeher so. Ursprünglich bedeutete Arbeit nämlich nichts anderes als ›Mühe, Plage‹; wer arbeiten musste, war sozial keineswegs gut angesehen. In einigen Herkunftswörterbüchern findet man die Rückführung des Wortes auf ein (erschlossenes) germanisches Wort arbejidhiz (›Mühsal‹), das seinerseits auf ein Verb mit der Bedeutung ›verwaistes und daher zu schwerer körperlicher Tätigkeit gezwungenes Kind sein‹ zurückgehen soll. Darin steckt vermutlich ein indoeuropäisches Wort, das wohl orbhos lautete, und dessen Bedeutung mit ›verwaist; Waise‹ angegeben wird (auf dieselbe Wurzel soll neuhochdeutsch Erbe zurückgehen).

Die Überzeugung, dass Arbeit Gott wohlgefällig ist und belohnt wird, findet sich vor allem im Calvinismus; die auf ihr beruhende Lebenshaltung wird seit Max Weber als „protestantische Leistungsethik“ bezeichnet. Dieses Wertesystem hat sich heute zwar weitgehend von seiner religiösen Wurzel gelöst, ist aber immer noch prägend für unsere Einstellung gegenüber dem Wort Arbeit. Denn oft genug glauben Menschen, die viel arbeiten, allein aufgrund dieser Tatsache Grund zur Zufriedenheit mit sich zu haben, und sehen außer ihrer Arbeit keinen Lebenssinn. Solche Menschen werden neudeutsch Workaholics (›Arbeitssüchtige‹) genannt.

Eben hier könnte sich allerdings auch ein Wandel im Wertesystem abzeichnen. In der postmodernen Spaßgesellschaft ist Arbeit offenbar für viele kein Wert an sich mehr. Selbst die Arbeitspolitik hat sich darauf inzwischen eingestellt und das alte Arbeitsamt trendig in Job-Center umbenannt.    ⋄    Jochen A. Bär

(122) 2. Mai – Maikäfer

„Es gibt keine Maikäfer mehr“, sang Reinhard Mey 1974. Zwischen den 1950er und den frühen 1970er Jahren waren die braunen Käfer als Fressschädlinge, die es vor allem auf die Blätter von Laubbäumen angesehen haben, mit dem inzwischen verbotenen Insektengift DDT nahezu ausgerottet worden. Heute findet man sie tatsächlich nur noch selten.

Das Wort Maikäfer ist ein Kompositum („zusammengesetztes Wort“). Sein erster Bestandteil Mai geht zurück auf den altitalischen Gott Maius, der bei den Römern als Beschützer des Wachstums verehrt wurde. Im Althochdeutschen hieß der fünfte Monat des Jahres winnemanod (›Weidemond‹, also derjenige Monat, in dem man die Tiere nach dem Winter auf die Weide schickt), ein Wort das später zu Wonnemond oder Wonnemonat umgedeutet wurde. Der zweite Wortbestandteil Käfer ist verwandt mit Kiefer (›Kauwerkzeug‹) und einem heute nicht mehr gebräuchlichen Verb kife(r)n (›kauen, nagen‹). Der Käfer ist also nach seinen zangenartigen Beißwerkzeugen benannt. Im Mittelhochdeutschen hieß er kever (mit kurzem e), im Althochdeutschen kefur oder kefiro.

Von Wilhelm Buschs Max und Moritz (im Fünften Streich stecken die bösen Buben dem Onkel Fritz Maikäfer unter die Bettdecke) über das Lied Maikäfer, flieg! bis zu Gerdt von Bassewitz' Peterchen Mondfahrt (der Maikäfer Sumsemann muss auf dem Mond sein verlorenes Beinchen suchen) bevölkern die Krabbeltiere insbesondere die Kinderliteratur. Doch auch in Werken für Erwachsene kommen sie vor. Bei dem Barockautor Christian Weise (1642–1708) liest man beispielsweise: „Inzwischen weil er nichts zu reden hatte, spielte er mit den Johannißbeerblättern, und rieß eines nach dem andern vom Stocke, daß die Jungfer nicht anderst meinte, er wolte den Meykäfer suchen, der ihm die Sprache entführet hätte.“

Der Maikäfer ist sogar sprichwörtlich: Fidel sein wie ein Maikäfer. In Leipzig heißen zudem (wohl aufgrund ihrer Form) die sehr klein gehaltenen Hälften des Schnurrbartes Maikäfer („Er hat ä paar Maikäfer unter der Nase“).

Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren Maikäfer auch Nahrungsmittel. Man verwendete sie als Hühnerfutter; in Frankreich und Teilen Deutschlands wurden sie sogar geröstet und zu Maikäfersuppe verarbeitet (der Geschmack soll an Krebssuppe erinnern). Und im Magazin für die Staatsarzneikunde von 1844 steht geschrieben: „In vielen Conditoreien sind sie überzuckert zu haben, und man isst sie candiert an Tafeln zum Nachtische.“

Sicherlich aber nicht deshalb gehört Maikäfer zu den 40 Wörtern, die von den Kindern der Grundschule Rechterfeld für unsere Kolumne vorgeschlagen wurden.    ⋄    Jochen A. Bär

(123) 3. Mai – Spaß

ist ein Lehnwort: Es kommt vom italienischen spasso (›Zeitvertreib, Vergnügen‹). Die ältere Form mit dem kurzen a findet man noch in vielen mittel- und süddeutschen Dialekten; in Österreich wird das Wort deshalb bisweilen sogar mit Doppel-s geschrieben. Das lange a in Spaß geht darauf zurück, dass man bis zur Einführung der neuen Rechtschreibung im Jahre 1996 ein Doppel-s im Auslaut prinzipiell als ß zu schreiben pflegte. Dadurch konnte man in der Schreibung keinen Unterschied erkennen zwischen Wörtern mit kurzem und langem Vokal („Selbstlaut“): Man schrieb Haß und Nuß ebenso wie Maß. Die Doppel-s-Schreibung nach Kurzvokal (Hass, Nuss) ist eine der wenigen uneingeschränkt sinnvollen Regelungen, die wir der Rechtschreibreform verdanken. Hätte man Spaß immer schon Spass geschrieben, wäre man wohl kaum auf den Gedanken gekommen, das a lang zu sprechen, so wie in Maß.

Dem italienischen Substantiv („Hauptwort“) spasso liegt ein Verb („Zeitwort“) spassare (›sich vergnügen, sich zerstreuen, sich unterhalten‹) zugrunde, das seinerseits wohl ursprünglich espassare lautete und auf das lateinische expassum (›entspannt, zerstreut‹) zurückgeht, die Partizip-Perfekt-Form von expandere (›ausspannen, entspannen, ausdehnen, ausbreiten‹). Spaß bedeutet also ursprünglich ›Zerstreuung, Ausgelassenheit‹; es war all das, was man dem Ernst des Lebens entgegensetzen konnte: ein Scherz, Witz oder Jux (einen Spaß machen) oder auch ein länger andauerndes Vergnügen, das man bei einer Sache empfindet (etwas macht jemandem Spaß oder jemandem ist der Spaß vergangen).

Spaß hatte bis vor wenigen Jahrzehnten in der Regel den Beigeschmack des Unernsten und Dilettantischen (das Italienische il dilettante ist zu dilettare ›ergötzen, amüsieren‹ gebildet und geht auf das gleichbedeutende lateinische delectare zurück): Wer nicht arbeiten musste, um dadurch seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der konnte etwas zum Spaß tun oder redensartlich auch: etwas aus Spaß an der Freude tun. Dabei spielte es dann keine Rolle, ob er es gut oder schlecht machte: Hauptsache, er hatte dabei seinen Spaß.

In der modernen Spaßgesellschaft ist Spaß zum bestimmenden Faktor geworden (wörtlich: zum Spaßfaktor). Eine üble Beschimpfung ist heutzutage Spaßbremse. Insbesondere in der Spaßpädagogik herrscht die Auffassung, dass Kinder und Jugendliche vor allem Spaß haben müssen. Das Erlebnis, dass eine sehr tiefgründige Freude gerade aus der ernsthaften Beschäftigung mit einer Sache entstehen kann, geht dabei oft verloren.    ⋄    Jochen A. Bär

(124) 4. Mai – Rabauke

ist ein Wort, das sich Christine Gröneweg (Universität Vechta) für unsere Reihe gewünscht hat. Wer es nicht besser weiß – zum Beispiel dadurch, dass er, wie der Kolumnist, die gängigen Wörterbücher zu Rate gezogen hat – kommt vielleicht auf den Gedanken, es könne sich um ein lautmalerisches Wort, ein so genanntes Onomatopoetikon handeln, ähnlich wie Radau oder Klamauk. Diese Vermutung könnte sich an die bekannte Bedeutung von Rabauke anlehnen, die das große Duden-Wörterbuch folgendermaßen angibt: ›jemand, der sich laut und rüpelhaft benimmt, gewalttätig vorgeht‹. Ähnlich auch im Etymologischen Wörterbuch des Deutschen von Wolfgang Pfeifer: ›roher, gewalttätiger Kerl, sich laut und ungesittet benehmender, übel aufführender junger Mann, Rüpel, Rowdy‹. Ein Rabauke wäre demnach jemand, der Radau oder lauten Klamauk macht.

Tatsächlich aber liegen die Dinge etwas anders. Rabauke ist nach Ausweis der herangezogenen Wörterbücher ein Wort, das ursprünglich rein dialektal war und erst seit etwa 1900 umgangssprachlich gebraucht wird. Weder im Grimm'schen Wörterbuch noch in den uns zur Verfügung stehenden Datenbanken zur älteren deutschen Literatur findet sich ein Beleg. Rabauke ist entlehnt aus dem niederländischen rabauw (›Schurke, Strolch‹, im älteren Niederländischen auch ›Stallknecht, Tagelöhner, Vagabund‹), das auf das altfranzösische ribaut (noch heute französisch ribaud: ›Landstreicher, Lumpenkerl, Lüstling, Hurenbock) zurückgeht. Ihm liegt im Altfranzösischen ein Verb („Zeitwort“) riber zugrunde, das es im heutigen Französischen nicht mehr gibt, und das so viel bedeutete wie ›sich wüst aufführen, ausschweifenden Vergnügungen nachgehen‹. Es ist seinerseits entlehnt aus dem mittelhochdeutschen Verb riben (erhalten im heutigen reiben) mit der Bedeutung ›brünstig sein, sich begatten‹; ribe bedeutete im Mittelhochdeutschen ›Hure‹.

Wie man sieht, übernimmt nicht nur das Deutsche Wörter aus anderen Sprachen, sondern es erscheint auch seinerseits als „Gebersprache“. Mit Sicherheit wäre dies ein spannendes Thema, das man einmal gesondert ins Auge fassen könnte. Einen geeigneten Rahmen dafür haben wir auch schon im Auge: Im Juni soll in Vechta ein Zweigverein der Gesellschaft für deutsche Sprache gegründet werden, der unter anderem die Aufgabe hat, Abendvorträge zu Sprachthemen von allgemeinem Interesse zu veranstalten.    ⋄    Jochen A. Bär

(125) 5. Mai – Herzklabastern

Das Wort Herzklabastern wurde von Günther-Bernd Ruhnke aus Steinfeld vorgeschlagen. In ihm steckt einerseits das Substantiv („Hauptwort“) Herz, andererseits das Verb („Zeitwort“) klabastern. Herz (›zentrales Antriebsorgan des Blutkreislaufs‹) geht zusammen mit bedeutungsgleichen Wörtern wie griechisch kardía, lateinisch cor und russisch sérdce, aber auch altslawisch sreda (›Mitte, Mittwoch‹) und russisch seredína (›Mitte‹) auf eine indoeuropäische Wurzel kerd- oder krd- zurück. Sie schließt sich möglicherweise an die indoeuropäische Wurzel (s)ker(e)- (›springen, herumspringen‹) an, die unter anderem unseren Wörtern Scherz und Schreck zugrunde liegt. Das Herz wäre demnach der ›Springer‹ oder ›Hüpfer‹. Ursprünglich war es ein schwach flektiertes Substantiv und hatte noch im Mittelhochdeutschen die Genitivform des Herzen; erst seit dem 16. Jahrhundert (unter anderem bei Martin Luther) findet sich die unregelmäßige Form des Herzens. Heute hingegen hört und liest man immer wieder einmal des Herzes – ein Fehler nicht anders als damals Luther einen beging, wenn er des Herzens schrieb. Sprachfehler, die von einflussreichen und/oder von vielen Sprecherinnen und Sprechern gemacht werden, sind möglicherweise die Sprachregeln von morgen.

Klabastern ist ein schwaches Verb (es bildet die regelmäßigen Zeitformen klabasterte bzw. hat klabastert), dessen Herkunft ungeklärt ist. Dem großen Duden zufolge hat es drei verschiedene Bedeutungen: 1. ›schwerfällig laufen und dabei Lärm verursachen‹ (in diesem Fall bildet es das Perfekt nicht mit haben, sondern mit sein: jemand ist laut durch die Gegend klabastert), 2. ›jemanden oder etwas schlagen, prügeln‹ und 3. ›(mit den Händen) sich zu schaffen machen‹. Weitere Bedeutungen führt das Grimm'sche Wörterbuch auf, darunter ›wiederholt oder unaufhörlich klopfen‹: Klabatter „heißt in Aachen die [...] Klapper oder Rassel, die man in der Charwoche braucht, während die Glocken schweigen“. Und auch der Klabautermann, der ›Poltergeist‹ der Seeleute, soll in diesen Zusammenhang gehören. Möglicherweise liegt das italienische calpestare (›stampfen, mit Füßen treten‹) zugrunde.

In der Verbindung Herzklabastern ist klar, dass klabastern so viel wie ›schlagen, klopfen‹ bedeutet. Bei vielen Menschen (nicht nur bei Herzkranken, sondern auch bei völlig Gesunden) kann „Herzstolpern“ durch Erregung, sei es Freude oder Stress, ausgelöst werden. Bei Herzkranken kann auch eine koronare Durchblutungsstörung, eine Herzmuskelerkrankung oder ein Herzklappenfehler ursächlich sein. Auch Medikamente, Koffein, Nikotin oder Alkohol können Herzklabastern verursachen oder verstärken.    ⋄    Jochen A. Bär

(126) 6. Mai – Gänseblümchen

Unser heutiges Wort, gewünscht von Katharina Genn-Blümlein (Universität Vechta), bezeichnet eine der bekanntesten Pflanzen Mitteleuropas, die fast das ganze Jahr hindurch blüht. In diesem Winter, der besonders mild war, konnte man es selbst im Dezember und Januar beobachten, beispielsweise auf den Rasenflächen des Vechtaer Universitätscampus. Nicht umsonst hat der große Systematiker der Botanik, der Schwede Carl von Linné (1707-1778), ihm den wissenschaftlichen Namen Bellis perennis gegeben. Lateinisch bellis heißt ›Gänseblümchen‹ (bellus bedeutet ›schön, hübsch‹) und perennis ›ausdauernd, mehrjährig‹.

Der deutsche Name Gänseblümchen ist vermutlich durch den Vergleich des weißen und gelben Blütenkopfes mit dem weißen Gefieder und dem gelben Schnabel der Gans begründet.

Gänseblume werden bisweilen auch noch andere Blumenarten genannt, nämlich die Margarite, der Löwenzahn und die zu den Wegerichpflanzen gehörende Kugelblume. Außerdem gibt es in den verschiedenen Regionen Deutschlands für die allgemeinsprachlich Gänseblümchen (bisweilen auch Maßliebchen oder Tausendschönchen) genannte Bellis perennis eine wahre Fülle von anderen Namen, von denen wir hier nur einige wenige nennen können: Geißblümli, Geißgisseli (Schweiz), Angerblume, Buntblümlein (Schwaben), Monatsblume (Süddeutschland), Gänsdistel (Kurpfalz), Mädchensblume (Eifel), Marienblume (Ostpreußen, Pommern, Hamburg), Brinkblome, Kattenblome (Norddeutschland), Fenneblome (Ostfriesland).

Im 18. und 19. Jahrhundert wurde das Gänseblümchen als „Allerweltsblume“ übrigens „recht verächtlich behandelt“, wie man im Grimm'schen Wörterbuch nachlesen kann. Um in lyrischen Gedichten vorzukommen, sei das Wort zu trivial: „der Dichter müßte denn den lateinischen Namen dafür setzen“. Abschätzig schreibt beispielsweise Schiller über eine von ihm selbst herausgegebene Gedichtsammlung: „Eine strengere Feile wäre [...] durchaus nötig gewesen, und überhaupt unter den Gedichten selbst eine strengere Wahl – aber das Buch mußte eben dick werden [...], was kümmert es den Anthologisten, ob er unter die Narzissen und Nelken auch hie und da Stinkrosen und Gänseblumen bindet?“ Will sagen: ob er hie und da auch „schlechte und wertlose oder unsittliche und gar zu ‚harmlose' Gedichte aufnimmt“, wie das Grimm'sche Wörterbuch erläutert.

Wir finden: Eine solche Geringschätzung hat das tapfere kleine Gänseblümchen keineswegs verdient, das uns jahraus, jahrein erfreut und das, kaum ist der Rasen gemäht, schon gleich wieder blüht.    ⋄    Jochen A. Bär

(127) 7. Mai – quietschfidel

Erneut ein Vorschlag von Christine Gröneweg (Universität Vechta): quietschfidel. Der erste Bestandteil, quietschen, ist ein lautmalerisches Wort, ein so genanntes Onomatopoetikon, und steht hier für schrill kreischende, quiekende Laute, die man vor Vergnügen von sich gibt. Das Grundwort fidel geht zurück auf das lateinische fidelis (›zuverlässig, treu‹, abgeleitet von fides ›Hoffnung, Zuversicht, Treue‹): In der Studentensprache des 18. Jahrhunderts hat es – wohl über die Vorstellung des zuverlässig lustigen, treuen Konkneipanten (›Mitsäufers‹) die Bedeutung ›gut gelaunt, fröhlich, heiter‹ angenommen. Möglicherweise – so vermutet zumindest Heinz Küpper im Wörterbuch der deutschen Umgangssprache – hat dabei ein Studentenlied eine Rolle gespielt, in dem die französische Zeile Toujours fidèle et sans souci vorkommt: ›Immer zuversichtlich und ohne Sorge‹.

Sich so sehr amüsieren, dass man vor Freude quietscht: Das Adjektiv quietschfidel ist derart sinnfällig, dass es auf jeden Fall gute Laune macht, gleich ob man nun seinem Klang nachlauscht oder sich eine quietschfidele Person vorstellt.

Ein Vorschlag für das „Jahr der Wörter“, den wir daher ebenfalls erwähnen sollten, stammt von der Klasse 4c der Kardinal-von-Galen-Schule in Dinklage: mopsfidel. Die Kinder haben, wie ihre Lehrerin Frau Stengert schreibt, „eine Menge lustiger Wörter gefunden“, die sie „zu Hause und im Unterricht, mit Hilfe des Wörterbuchs oder aus spontaner Eingebung höchst vergnügt ,entdeckt‘ haben.“ Es sind solche Wörter, die „einen lustigen Klang haben, also beim Sprechen, zumindest bei unserer intensiven Beschäftigung mit ihnen, ein Schmunzeln erzeugen.“ Mit Muckefuck, das Professor Kürschner am 20. Februar in dieser Reihe erläuterte, hat die 4c ein weiteres derartiges Wort vorgeschlagen.

Woher mopsfidel kommt, lässt sich nicht klären. Entweder steckt darin die ursprüngliche Bedeutung von fidel (›treu‹) – der Mops ist ein besonders intelligenter und treuer Hund – oder man fand den Anblick des zerknautschten Mopsgesichts erheiternd. Der Mops scheint tatsächlich komisches Potential zu haben: Er regte an zu Stammbuch- oder Poesiealbumsprüchen wie „Lebe glücklich, lebe froh / wie der Mops im Paletot“ (bisweilen auch „im Haferstroh“) oder auch zu dem Schüttelreim „Gibst Du dem Mops Sardellenbutter / frisst er sie nicht. Doch bellen tut er.“

Wie auch immer: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“ – so der große Mops-Freund Vicco von Bülow alias Loriot. Denn „Möpse sind mit Hunden nicht zu vergleichen. Sie vereinigen die Vorzüge von Kindern, Katzen, Fröschen und Mäusen.“    ⋄    Jochen A. Bär

(128) 8. Mai – Bürgersteig

Die frühesten mir zur Verfügung stehenden Belege für Bürgersteig finden sich 1818 im 125. Band der Oekonomisch-technologischen Encyklopädie von Johann Georg Krünitz. Wie alt das Wort tatsächlich ist und ob es einmal als Ersatz für das französische Trottoir gedacht war, muss offen bleiben. Joachim Heinrich Campe, der große Verdeutscher des frühen 19. Jahrhunderts, kennt es jedenfalls nicht. In seinem Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke (1813) liest man unter Trottoir: „ein an den Seiten der Straßen in verschiedenen Städten angelegter Fußweg von breiten und platten Steinen. Bei uns in Braunschweig nennt man dergleichen Fußwege die breiten Steine, wofür man kürzer und mit Einem Worte die Plattsteine sagen könnte. Auf den Plattsteinen zu reiten oder zu karren ist verboten.“

Bürger leitet sich von althochdeutsch burgâri (eigentlich burg-wari) ›Burgwehrer, -verteidiger‹, dann: ›Burg-, Stadtbewohner‹ ab, Steig (›Fußweg‹) kommt von steigen, das ursprünglich auch ›schreiten, gehen‹ bedeutete. Trottoir, das in verschiedenen deutschen Dialekten noch anstelle von Bürgersteig verwendet wird, führt zurück auf französisch trotter (›gehen, flanieren‹) und ist mit dem Suffix (der „Nachsilbe“) -oir gebildet, die dem lateinischen -orium (›Ort, an dem etwas Bestimmtes stattfindet, der der zu etwas Bestimmtem dient‹) entspricht. Man kennt beispielsweise das Dormitorium (›Schlafsaal‹), das Laboratorium (›Werkstätte, Labor‹) oder das Purgatorium (›Fegefeuer‹).

Ein Wort mit gleicher Bedeutung wie Bürgersteig ist Gehsteig; ebenfalls annähernd das Gleiche bedeutet Gehweg, wobei jedoch zu bedenken ist, dass ein Bürgersteig oder auch Gehsteig als Begrenzung der Fahrbahn in der Regel eine erhöhte Bordsteinkante aufweist, während ein Gehweg ohne weiteres auch auf gleichem Niveau mit der Straße verlaufen kann.

Bürgersteig in unserer Kolumne zu behandeln, war ein Vorschlag von Daniel Richter aus Lutten. Er empfindet es als „typisch deutsches Wort“. Was genau an diesem Wort – oder an der damit bezeichneten Sache? – „typisch deutsch“ ist, können wir nicht klären. Interessant: Es scheint keine Einzelmeinung zu sein. So sagt Lisa Danulat, die erste Trägerin des Vechtaer Kulturpreises „Artist in Residence“, über einen Rollkoffer: Er „plappert seinen typisch deutschen Bürgersteigmonolog“.    ⋄    Jochen A. Bär

(129) 9. Mai – Gedöns

Der umgangssprachliche Ausdruck Gedöns – für das „Jahr der Wörter“ vorgeschlagen von Christine Gröneweg (Universität Vechta) – stand 1973 erstmals im Rechtschreibduden. Belegt ist das Wort allerdings schon viel früher, es hat sich aus dem mittelhochdeutschen gedense entwickelt, was soviel bedeutet wie ›Geschleppe‹, ›Gezerre‹ oder ›Hin- und Hergeziehe‹. Zugrunde liegt ein Verb dinsen, das wir heute nur noch in dem Partizip gedunsen kennen; verwandt ist aber auch das bis heute gebräuchliche dehnen. Die Rundung von Stammvokalen (hier: e zu ö) ist ein typisches Lautwandelphänomen in der historischen Entwicklung vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen.

Nach dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm wurde mit gedense einerseits ein Vogelzug bezeichnet, der sich fortschleppt, langsam hinzieht. In dieser Bedeutung ist der Ausdruck belegt bei Hans Sachs: „dergleich kummen auch die wildgens (im märz), die krench, machen ein lang gedens.“ In einer anderen Verwendung des Wortes konnte mit gedense auch ein ›Gezerre‹, ein Hin und Her gemeint sein, wie es in einem Handgemenge stattfindet. Eher ungebräuchlich scheint sein Gebrauch im Hinblick auf ein ›unsittliches Verhältnis‹; so berichtet ein Marburger Verhörprotokoll von 1596: „etwan ein Viertel jar hero hat sie mit eczlichen Personen ein gedenße gehabt“.

Heute wird das Wort Gedöns ebenfalls in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Einerseits für ›geringgeschätztes nicht ernstzunehmendes Handeln jeder Art‹, etwa in der Äußerung: „Mach doch nicht so ein Gedöns!“. Nimmt man an, dass dabei auch das Wort Getön(e) assoziiert wird, könnte man auch sagen, jemand erregt durch sein Verhalten unnötige Aufmerksamkeit, sie oder er macht viel Lärm um nichts – ein Trara eben. Auf der anderen Seite werden mit Gedöns salopp und abwertend Gegenstände bezeichnet, die als ›nicht unbedingt notwendig‹ und deshalb ›unnütz‹ erachtet werden, im Sinne von ›überflüssiger Kram‹.

Eine Popularisierung im öffentlichen Sprachgebrauch dürfte der Ausdruck in dieser Bedeutung erfahren haben, als Gerhard Schröder anlässlich der Vereidigung des Bundeskabinetts im Oktober 1998 nonchalant und abschätzig von „Frauenpolitik und so Gedöns“ sprach. Wie glaubwürdig es ist, dass Schröder zu seiner Rechtfertigung versuchte, eine weitere Bedeutung des Wortes Gedöns stark zu machen, nämlich die, dass Gedöns von ihm als ›Ersatzausdruck‹ verwendet worden sei für eine vergessene Bezeichnung („Das fiel mir einfach nicht ein“), sei einmal dahingestellt. Das Ding heißt jedenfalls Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.    ⋄    David Römer

(130) 10. Mai – Fagott

Wie der Zufall so spielt: Mein letzter Beitrag zur Wörterjahrserie beschäftigte sich am Karsamstag mit dem Wort Gott, und heute bin ich mit Fagott dran. Nun steckt in Letzterem sicher nicht Ersteres – was wäre denn auch die Bedeutung des Vorderteils Fa-? Nein, Fagott hat mit Gott sprachlich nichts zu tun. Das ›Holzblasinstrument in Basslage mit u-förmig geknickter Röhre, Grifflöchern und Klappe, dessen Ton in der Tiefe voll und dunkel und in der Höhe leicht gepresst und näselnd ist‹ (so die schöne Bedeutungsumschreibung im Universalduden) – dieses Holzblasinstrument hat seinen Namen aus dem Italienischen, wo es fagotto heißt; die Herkunft dieses Wortes ist unbekannt – sagt der Duden. Kluges Etymologisches Wörterbuch erwägt: „vielleicht aus frühromanisch *fagicotto ›aus Buche bestehend‹“, wobei das Sternchen besagt, dass dieses Wort nicht belegt, sondern rekonstruiert (nicht: erfunden) ist. Eine nochmals andere Beschreibung findet sich in Pfeifers Etymologischem Wörterbuch. Zunächst zum Gegenstand selber: „Die Geschichte des Instruments ist ungenügend erforscht“, dann zum dazugehörigen Wort: „die Herkunft seiner Bezeichnung [ist] unsicher; erwogen wird Zusammenhang mit ital. fagotto ›Reisigbündel‹ und Anschluss an griech. phákelos ›Bündel‹, da das wegen seiner Länge mehrfach gebundene Rohr gleichsam gebündelt erscheint.“

Wie dem auch immer sei: Vielleicht hat mancher Leser nun Lust bekommen, sich den in der Tiefe vollen und dunklen und in der Höhe leicht gepressten und näselnden Klang des Fagotts akustisch zu vergegenwärtigen und dabei auch das Instrument selbst in Augenschein zu nehmen.

Auf Youtube wird er fündig und kann sich dort Mozarts Fagottkonzert in B-Dur (Köchelverzeichnis 191) von 1774 anhören und dabei auch das Fagott in Aktion sehen. Eine der dort vorhandenen Fassungen wird auf Englisch benannt: bassoon concerto. Das englische Wort bassoon (auf der zweiten Silbe betont) ist aus dem französischen basson entlehnt, das seinerseits auf italienisch bassone zurückgeht. Bassone gehört zum Adjektiv („Eigenschaftswort“) basso mit der Bedeutung ›tief‹ aus lateinisch bassus ›kurz, tief‹ (wie auch in Bass ›tiefeMännerstimme‹).

Diese Informationen stammen aus dem „Oxford Advanced Learner’s Dictionary“. Bei der Abfassung meiner Artikel arbeite ich gern mit der App-Fassung dieses Wörterbuchs, die gegenüber der gedruckten Ausgabe den Vorzug hat, dass die Aussprache der enthaltenen Wörter nicht nur in Lautschrift angegeben ist, sondern auch hörbar wiedergegeben werden kann, und zwar in britischem und in amerikanischem Englisch.    ⋄    Wilfried Kürschner

(131) 11. Mai – rasant

Die deutsche Sprache (nicht anders als jede andere Kultursprache) ist ein Land mit offenen Grenzen. Von allen Seiten her erfährt sie Zuwanderung. Ganz offensichtlich ist das im Bereich der Wortentlehnung aus anderen Sprachen. Weniger offensichtlich ist oftmals der Einfluss, den die Allgemeinsprache seitens der Dialekte, der Soziolekte oder der Fachsprachen erfährt. Wer wüsste schon auf Anhieb, dass das standardsprachliche Wort Tau (›dickes Seil‹) aus dem Niederdeutschen, Strolch (›Schlingel‹) hingegen aus dem Oberdeutschen stammt? Oder dass Kluft (›Kleidung, Montur‹) und filzen (›durchsuchen‹) Wörter aus der Gaunersprache, dem so genannten Rotwelschen, sind? Oder dass Ort (›Platz, Stelle‹), insbesondere in der Allerwelts-Redewendung vor Ort, aus der Fachsprache der Bergleute kommt? (Ort bedeutete ursprünglich ›Spitze, spitzes Ende‹ und bezeichnete das Ende eines Stollens, also den ›Platz‹, die ›Stelle‹, wo der Bergmann arbeitet.)

Auch unser heutiges Wort rasant hat seine Wurzeln in der Fachsprache. Nicht an den Wurzeln der Berge, wie Ort, sondern in den Pulverfässern der Kanoniere. Denn es hängt mit rasieren (›scheren, abschneiden‹) zusammen: Rasant hieß in der Fachsprache der Ballistik – also der Lehre von der Bewegung geschleuderter oder geschossener Körper – so viel wie ›flach, geradlinig verlaufend‹ und bezog sich auf die Flugbahn von Kanonenkugeln. Ein rasanter Schuss beschrieb keinen Bogen, um sein Ziel von oben zu treffen, sondern verlief annähernd horizontal und „rasierte“ dabei alles ab, was ihm im Weg war. Zugrunde liegt das lateinische rasus, eine Form von radere (›ab-, auskratzen, abschaben, löschen‹), das auch in radieren steckt.

In der Alltagssprache sind diese Zusammenhänge heute vergessen. Rasant wird entgegen seiner Wortherkunft mit rasen (›sich heftig, mit großer Geschwindigkeit fortbewegen‹) in Zusammenhang gebracht und hat daher gemeinhin die Bedeutung ›sehr schnell‹ (rasant fahren, rasantes Tempo), ›den Eindruck großer Schnelligkeit vermittelnd, schnittig‹ (rasanter Wagen, rasante Frisur) und darüber hinaus ›stürmisch, sich rasch entwickelnd‹ (rasanter technischer Fortschritt, rasanter Zuwachs) und ›spannend, mitreißend, durch Schwung begeisternd‹ (rasante Komödie).

Manche Menschen denken, es sei sprachlich falsch, rasant in den zuletzt genannten Bedeutungen zu verwenden, weil es ursprünglich, wie gesagt, mit rasen nichts zu tun hatte. Sie vergessen dabei, dass Sprache sich verändern können muss, um den Anforderungen der sich verändernden Realität gerecht zu werden. Was sich aber überhaupt verändern kann, verändert sich dann eben, wo immer es kann. Bisweilen rasant.    ⋄    Jochen A. Bär

(132) 12. Mai – Etui

Bei der Durchsicht der Vorschläge, die für unsere Kolumne eingegangen sind, ist es immer wieder eine besondere Freude, wie großartig sich die Schulen im Kreis Vechta beteiligt haben: mit insgesamt 211 verschiedenen Wörtern. Auch unser heutiges – Etui – gehört dazu. Die Klasse 7d der Liebfrauenschule in Vechta hat es eingereicht: „Wo kommt es her? Was bedeutet es? Warum heißt es so? Wir haben es ausgesucht, weil wir es komisch fanden“, schrieben die Schülerinnen im Oktober 2013 an die Jahr-der-Wörter-Jury.

Beantworten wir die Fragen: Das Wort Etui kommt aus dem Französischen. Es bedeutet (erklärt der große Duden) ›kleiner flacher Behälter, meist aus festerem Material, zum Mitführen, Aufbewahren eines oder mehrerer Gegenstände bestimmter Art‹. So gibt es beispielsweise goldene oder lederne Etuis, solche aus Stoff, Zigaretten- oder Brillenetuis.

Ins Deutsche entlehnt wurde das Wort im 18. Jahrhundert. Das altfranzösische Verb („ Zeitwort“ ) estuier oder estoier bedeutete ›etwas einschließen, in eine Hülle legen‹. Zugrunde liegt wohl das lateinische Wort für ›bewachen, beschützen‹, tueri (auszusprechen mit langem, betontem e).

Nicht ganz dasselbe wie ein Etui, aber doch etwas Ähnliches ist ein Necessaire. Auch dieses Wort kommt aus dem Französischen. Es geht zurück auf lateinisch necessarius (›notwendig‹) und steht für ein Behältnis, meist ein Beutel oder eine kleine Tasche, in der Dinge aufbewahrt werden, die ›nötig‹ sind. Unter anderem gibt es Reisenecessaires, in denen man Zahnbürste, Zahnpasta, Kosmetika, Nähzeug und andere Gebrauchsgegenstände mit sich führen kann. Ein Necessaire – auch die eindeutschende Schreibung Nessessär ist übrigens nach geltender Rechtschreibung korrekt – ist meist etwas größer als ein Etui und in der Regel auch nicht flach. Wer andere Wörter dafür sucht, wird fündig bei Kulturbeutel (wobei Kultur im Sinne von ›Körperpflege‹ gemeint ist; den Unterschied zwischen Zivilisation und Kultur erklärte mein Großvater, ein Zahnarzt, so: „Zivilisation ist, wenn man eine Zahnbürste besitzt, und Kultur, wenn man sie benutzt.“).

Auch Kulturtasche und Toilettentasche sind gängige Ausdrücke für Necessaire, und wer eine Zusammensetzung ganz ohne Fremdwörter möchte, kann auch Waschtasche sagen. In meinem kurpfälzischen Heimatdialekt, ebenso wie in etlichen anderen Mundarten, lässt man das e am Ende weg, und dann klingt es besonders lustig: Waschtasch.    ⋄    Jochen A. Bär

(133) 13. Mai – Kauderwelsch

Der Deutsch-Leistungskurs des Vechtaer Gymnasiums Antonianum macht seinem Namen alle Ehre: Die Abiturientinnen und Abiturienten – ihre schriftliche Prüfung haben sie gerade hinter sich – waren im Februar zu Besuch an der Universität Vechta zu einer Spezial-Deutschstunde mit dem Bären. Dabei haben sie sich als kluge, engagierte junge Leute gezeigt, die gerne Fragen stellen. Eben dies haben sie auch mit ihren Einsendungen zum „Jahr der Wörter“ bewiesen: Zusammen mit ihrer Tutorin Frau Bartels haben sie insgesamt 18 Vorschläge gemacht, von denen einige hier bereits vorgestellt wurden. Zu Kauderwelsch schreiben sie: „Das Wort bedeutet so viel wie ›Unsinn oder Schwachsinn reden‹. Es hat sich in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeprägt und wir benutzen es um auszudrücken, dass eine Person etwas Unlogisches gesagt hat. So weit die Erklärung, aber keiner von uns konnte sagen, wo das Wort herkommt oder ob man es ableiten kann. Es scheint auch nicht aus anderen deutschen Wörtern zusammengesetzt zu sein. Daher die Frage: Was bedeutet Kauderwelsch wirklich?“

Schaut man in den großen Duden, so findet man, dass Kauderwelsch für eine ›aus mehreren Sprachen gemischte, unverständliche Sprache oder Sprechweise‹ steht: ein fürchterliches, ein unverständliches Kauderwelsch oder ein Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch. Es kann auch das Gleiche wie Fachchinesisch bedeuten: ›eine aufgrund von zu vielen Fremdwörtern, Fachausdrücken o. Ä. unverständliche oder schwer verständliche Ausdrucksweise‹: z. B. juristisches Kauderwelsch oder sprachwissenschaftliches Kauderwelsch (Letzteres versuchen wir nach Kräften zu vermeiden).

Das Grundwort welsch ist ursprünglich ein Adjektiv („Eigenschaftswort“) und bedeutet ›romanisch‹, also eine der vom Lateinischen abgeleiteten Sprachen wie Italienisch oder Französisch. Es ist ein bereits im Althochdeutschen bekanntes Wort, das auch im Namen des Schweizer Kantons Wallis sowie in Wallonen (der Bezeichnung der französischsprachigen Belgier) steckt. Abgeleitet wird es vom Stammesnamen der keltischen Volcae und bedeutete ursprünglich ›keltisch‹ (so noch walisisch, englisch Welsh, und in den Landesnamen Wales und Cornwall).

Der erste Wortbestandteil von Kauderwelsch kommt vom Ortsnamen Chur, der auf Tirolisch Kauer lautet. Unter dem Einfluss von mundartlichem kaudern (›stottern, plappern‹) hat sich wohl aus Kaurerwelsch (›Chur-Romanisch‹, die für die deutschsprachige Bevölkerung unverständliche Sprache der italienischen Hausierer) die heutige Bedeutung ›unverständliche, verworrene, radebrechende Sprache‹ entwickelt.    ⋄    Jochen A. Bär

(134) 14. Mai – kugelrund

Vechta leuchtet! Der Kolumnist ist rundum zufrieden. Denn das Interesse an Sprache ist im Oldenburger Münsterland weit größer als erwartet. Immer wieder erreichen uns freundliche Kommentare zu unserer Reihe, die allem Anschein nach eine treue Leserschaft hat. Man darf wohl sagen: Die Sache läuft rund. So wie jedenfalls unser heutiges Wort. Das Adjektiv („Eigenschaftswort“) kugelrund ist ein Vorschlag der Klasse 6b der Liebfrauenschule in Vechta – „warum nicht kreisrund?“, fragen sich die Kinder.

Beide Wörter gibt es – und darüber hinaus dieses und jenes mehr, denn rund können ja nicht nur Kugeln oder Kreise sein. Im Duden stehen beispielsweise apfelrund („apfelrunde Bäckchen“), eirund („frei und heiter zeigt sich des Kopfes liebliches Eirund“, heißt es in Goethes Hermann und Dorothea) und das Erdenrund. Dabei ist kugelrund wohl das rundeste rund überhaupt, denn eine Kugel ist von allen Seiten gleich rund. Könnte man hingegen einen Kreis von der Seite betrachten, so wäre er nur ein Strich.

Das Wort Kugel bedeutet auch ursprünglich eben dies: ›Rundung‹; es ist verwandt mit Keule (mittelhochdeutsch kiule, eigentlich ›Gebogenes, Gekrümmtes, Wölbung‹, benannt nach dem verdickten, gerundeten Ende). Für die Erklärung von rund machen wir eine Extrarunde: Wir erläutern es morgen. Heute legen wir zunächst einmal Wert auf Lautliches. Denn dass kugelrund ein Wort ist, das rundweg rund läuft, lässt sich nicht nur von seiner Bedeutung behaupten. Betrachtet man den Wortklang, so fällt auf, dass er eine vollkommen regelmäßige Abfolge aus einer betonten, einer unbetonten und einer betonten Silbe darstellt. Da holpert nichts und es gibt keine Brüche (wohingegen bei kreisrund nach der ersten betonten Silbe unmittelbar eine zweite Betonung folgt, so dass man gewissermaßen neu Schwung nehmen muss).

Zudem rundet sich das Wort kugelrund auch dadurch, dass in der ersten und in der letzten Silbe jeweils der rundeste aller Vokale („Selbstlaute“) vorkommt. Bei keinem anderen Laut sind die Lippen runder als beim u. Anders als bei kreisrund schließt sich also bei kugelrund artikulatorisch der Kreis. Das Wort auszusprechen macht klangsatt und zufrieden: Es hört sich genau nach dem an, was es bedeutet – und das ist neben ›rund wie eine Kugel‹, durchaus sinnreich, laut Duden auch noch dies: ›wohlgenährt und entsprechend dick (als Ausdruck bester Gesundheit)‹: z. B. in ein kugelrundes Baby.    ⋄    Jochen A. Bär

(135) 15. Mai – Rotunde

Nach kugelrund, das wir gestern erläutert haben, bleiben wir beim Thema. Ring frei für die nächste Runde: Rotunde.

Das Substantiv („Hauptwort“) kommt vom lateinischen rotundus (›rund‹), in dem rota (›Rad‹) steckt; es ist also unter anderem mit rotieren (›sich [rasch] im Kreis drehen‹) verwandt und bedeutet wörtlich übersetzt ›rad-, scheibenartig‹. Von rotundus mittelbar abgeleitet ist auch unser Adjektiv („Eigenschaftswort“) rund: Es ist über die Zwischenstation des altfranzösischen ront oder rond bereits in mittelhochdeutscher Zeit ins Deutsche entlehnt worden.

Unter einer Rotunde versteht man in der Architektur ein Gebäude oder einen Gebäudeteil (oft in der Dachkonstruktion) mit kreisrundem Grundriss. Als „umgangssprachlich veraltet“ kennzeichnet der große Duden die zweite Wortbedeutung: ›rund gebaute öffentliche Toilette‹.

Einige weitere Wörter, die direkt auf das lateinische rotundus zurückgehen, finden sich im Wörterbuch in unmittelbarer Nähe von Rotunde: Als Rotunda wird schriftgeschichtlich eine im 13./14. Jahrhundert in Italien eingeführte spätgotische Schrift mit abgerundeten Formen bezeichnet, und das Rotundum ist in der Fachsprache der Alchemie ein Ausdruck für den „Stein der Weisen“: eine existent geglaubte Substanz, die unedle Metalle in Gold oder Silber verwandeln und zudem alle Krankheiten heilen können sollte. Viele Alchemisten waren auf der Suche danach. Auf Arabisch nannte man das geheimnisvolle Ding el iksir, woraus sich das deutsche Elixier (›Zaubertrank, Heilmittel‹) entwickelte.

Das Elixier des Wohllauts einer Sprache sind die Vokale („Selbstlaute“): Solche Wörter gelten gemeinhin als besonders klangschön, die ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Vokalen und Konsonanten („Mitlauten“) aufweisen. Mit den beiden voll-dunklen Vokalen o und u, klingt Rotunde nicht nur melodisch, sondern lässt, da beide Laute durch eine Rundung der Lippen artikuliert werden, auch noch die Wortgestalt als Abbild der Wortbedeutung erscheinen.

Ein in sich rundes Wort also, das vornehm, aber nicht arrogant wirkt. In Wahrheit ist das auftrumpfende arrogant mit seiner ausladenden Betonung der beiden herausfordernd-hellen a-Laute klanglich so ziemlich das genaue Gegenteil der in sich ruhenden, zentral betonten Rotunde. Wohl nicht zuletzt deshalb ist unser Substantiv das Lieblingswort meiner Leipziger Kollegin Dr. Pamela Steen. Sie hat mehrfach Vorträge an der Universität Vechta gehalten und weiß auch von unserer Kolumne, für die sie diesen Vorschlag eingereicht hat. Man sieht: Vechta leuchtet weit über das Oldenburger Münsterland hinaus.    ⋄    Jochen A. Bär

(136) 16. Mai – Kunst

In Vechta kann man künftig nicht mehr Kunst studieren: Die Universität sieht sich gezwungen, das Fach zu schließen. Schade. Sprachlich jedoch kein Widersinn. Denn zwar kommt Kunst von können. Aber noch im Mittelhochdeutschen hieß kunnen nur ›geistig vermögen, zu tun wissen‹ und unterschied sich von mugen, ›vermögen, können, im Stande sein‹. Der Unterschied ist der gleiche wie im Französischen noch heute bei den Wörtern savoir und pouvoir. Kunst also meint ursprünglich ein geistiges Vermögen, bisweilen einfach ein Wissen (mittelhochdeutsch nach miner kunst: ›soviel ich weiß‹). Bis ins 18. Jahrhundert wurde Kunst im Sinne des griechischen techne oder des lateinischen ars gebraucht und konnte ebenso die „schönen Künste“ wie Wissenschaften (Heilkunst), Geheimlehren (schwarze Kunst) oder Handwerke (Schuhmacherkunst) bezeichnen.

Wenn können ›verstehen‹ bedeutet, leuchtet ein, dass es mit kennen (›erfahren haben, wissen‹) verwandt ist. Kunst ist also Kenntnis: jenes Wissen um die Beschaffenheit des zu Behandelnden, ohne das eine angemessene Behandlung nicht möglich ist. Kunst ist auch so viel wie Kundigsein: etwas wissen, erfahren haben; von dieser vernommenen Kunde (die etymologisch gleichfalls mit kennen verwandt ist) kündet dann wiederum das Kunstwerk. Und ist der Künstler in seinen Entwürfen und Werken kühn, so hat das gleichfalls mit Kenntnis zu tun: Kühn (›beherzt, mutig, wagemutig, verwegen‹) meinte ursprünglich ›kampfeskundig, im Streit erfahren‹.

Heute denkt man im Zusammenhang mit Kunst vor allem an Kreativität: Kunst soll schöpferisch sein, Neues erzeugen. Doch führt dies inhaltlich nicht auf andere Wege. Die Wortfamilie von kennen – auch lateinisch (g)noscere (›kennen, erkennen‹) und das gleichbedeutende griechische gignoskein gehören dazu – ist wohl urverwandt mit Wörtern wie lateinisch gignere und griechisch gignesthai (›zeugen, erzeugen‹) sowie allen anderen zu diesem Wortstamm gehörenden Einheiten, z. B. lateinisch genius (›Schöpferkraft, Zeugekraft‹), deutsch König (eigentlich: ›Herr aus edlem Geschlecht‹), Kind (›das Erzeugte‹) und Knie (lateinisch genu, von der Tatsache, dass Kinder früher oft kniend zur Welt gebracht wurden).

Den Zusammenhang erkennt man, wenn man sich eine historische Verwendung des Wortes erkennen vor Augen führt: ›sexuellen Kontakt mit jemandem haben, mit jemandem schlafen‹. Dieser Wortgebrauch ist heute wohl nur noch aus der älteren Bibelsprache bekannt. Matth. 1,25 (Josef hatte keinen Verkehr mit Maria, bis sie ihren ersten Sohn, d. h. Jesus, zur Welt brachte) übersetzte Martin Luther so: „Vnd erkennet sie nicht, bis sie jren ersten Son gebar“.    ⋄    Jochen A. Bär

(137) 17. Mai – Idiot

Im Jahr 2000 waren kurzzeitig Schimpfwörter (besser: Spottwörter) sehr beliebt, die alle nach demselben Grundmuster funktionierten: Es waren Bezeichnungen für den emotional angehauchten modernen Männertyp, der mit traditionellen männlichen Wertklischees wie Härte und Rücksichtslosigkeit wenig anfangen kann. In Anlehnung an das schon länger bekannte Weichei nannte man sie „Weicheiwörter“. Die Erfindung solcher Wörter war auf sprachlichem Gebiet der Renner des Jahres. Ein Radiosender suchte wochenlang nach dem „Weicheiwort des Tages“. Nach dem Vorbild des bereits 1998 von dem Entertainer Harald Schmidt lancierten Ur-Weicheiwortes Warmduscher wurden Dutzende von phantasievollen Ausdrücken gebildet: Schattenparker, Handbremsenanzieher, Gelsattelradler, Turnbeutelvergesser, Quallenaußenrumschwimmer, Lichtschutzfaktor-60-Eincremer, Frauenversteher, In-Fahrtrichtung-Sitzer, Sitzplatzabbürster, Brötchen-über-der-Spüle-Aufschneider, Verfallsdatumpaniker, Zahnarztterminverschieber ...

Die Softis schlugen zurück und präsentierten „Harteiwörter“: Ampelignorierer, Batterie-mit-der-Zunge-Tester, Chef-in-Besprechung-Verbesserer, Gorillagangimitierer, Kaktusstreichler, Sonnencremeverzichter, Pitbullzurückbeißer, Russenmafiabescheißer ...

Schimpfen kann man, wenn man nur will und es mit der erkennbaren Absicht verwendet, so ziemlich mit jedem Wort, und sei es auch nur eine gängige Berufsbezeichnung: Sie Beamter! Auch eines unserer bekanntesten Schimpfwörter ist eigentlich ein ganz harmloses Wort: Idiot kommt vom griechischen idiotes und weist als Grundbestandteil das Adjektiv („Eigenschaftswort“) idios auf, das so viel wie ›eigen, eigentümlich‹ bedeutete. Wir kennen heute noch das Idiom (›eigentümliche, spezifische Sprechweise‹, vorgeschlagen von Kerstin Ahrling aus Vechta: „Ein tolles Wort! Ich hab’s gelesen und wusste, dass es mit in diese Reihe muss!“). Ähnlich auch das Idiotikon; darunter versteht man, völlig ohne böse Nebengedanken, eine Sammlung von Wörtern, die einer bestimmten Gruppe von Menschen eigen ist: ein Dialektwörterbuch. Und der idiotes selbst war im griechischen Stadtstaat nur derjenige, der sich allein um seine eigenen Geschäfte kümmerte, also die Privatperson im Gegensatz zum Politiker.

Wie Idiot zum Schimpfwort werden konnte, ist klar: Wer sich nur für sich selbst interessiert, gilt rasch als egoistisch, als eigensinnig, möglicherweise auch als jemand, der den Argumenten anderer nicht zugänglich ist. Vor diesem Hintergrund: Aufpassen, wenn jemand Sie als Privatperson bezeichnet! Es könnte ›Idiot‹ gemeint sein ...    ⋄    Jochen A. Bär

(138) 18. Mai – aufklauben

Unser heutiges Wort, vorgeschlagen von Matthias Bien aus Dinklage, ist eines, das man vor allem in Süddeutschland, in Österreich und in der Schweiz gebraucht. Aufklauben bedeutet so viel wie ›(verstreut Umherliegendes) aufheben, aufsammeln‹. Mit „rostro, digitis legere, glubere“ („mit dem Schnabel, mit den Fingern sammeln, abschälen“) gibt das Grimm'sche Wörterbuch die Bedeutung an: „Vögel klauben die Körner auf; im Walde Beeren, Pilze aufklauben; Würmlein [...] von den Bäumen und Ästen aufklauben“.

Es handelt sich um ein so genanntes schwaches Partikelverb, also ein regelmäßig konjugiertes, trennbares Verb dessen Zeitformen so lauten: ich klaube auf, ich klaubte auf, ich habe aufgeklaubt. Das Grundwort ist klauben und heißt für sich allein fast genau dasselbe wie aufklauben: ›mühsam und einzeln zusammensuchen, auflesen, von der Schale befreien, pflücken, sammeln‹ (Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen) beziehungsweise ›mühsam und einzeln, eins nach dem anderen (mit den Fingerspitzen) aus oder von etwas entfernen‹ (Duden): man kann Krümel vom Polster klauben oder Rosinen aus dem Kuchen klauben, im übertragenen Sinne auch den eigentlichen Sinn aus einer Rede klauben. Heute kennt man vor allem noch die Zusammensetzungen Wortklauberei (›kleinliche, engstirnige Auslegung eines Textes, übertriebenes Festhalten am Wortlaut‹) und Wortklauber (›jemand, der Wortklauberei betreibt‹).

Fragt man sich nach der Herkunft von klauben, so erfährt man in den Wörterbüchern, dass es mit klieben, althochdeutsch chliuban, zusammenhängt, einem Verb, das ebenfalls vor allem im Süddeutschen bekannt, im übrigen deutschen Sprachgebiet seit dem 17., spätestens dem 18. Jahrhundert außer Gebrauch ist und ›spalten‹ bedeutet. Urverwandt sind Wörter wie griechisch glyphein (›einkerben, einschneiden, gravieren‹, das unter anderem in Hieroglyphe steckt), ebenso unser aus dem Griechischen stammendes Fremdwort Glyptothek (›Skulpturensammlung‹) und lateinisch glubere (›schälen, abspalten, abziehen‹), aber auch die deutschen Wörter Kluft (›tiefer Einschnitt, Spalte‹) und Klüver (in der Seemannssprache ein keilförmiges Segel). Man kann insbesondere Holz klieben; die groben Klötze oder Blöcke, die man kliebt, heißen ihrerseits Kloben (und bildlich nennt man im Süddeutschen auch einen ungehobelten Menschen so).

Unter klauben muss man sich somit ursprünglich das Aufsammeln der beim Holzspalten in verschiedene Richtungen auseinandergeflogenen Holzteile vorstellen.    ⋄    Jochen A. Bär

(139) 19. Mai – Unterfangen

Wörter kann man aus ganz verschiedenen Gründen „schön“ finden: zum Beispiel aufgrund ihrer Lautlichkeit, oder weil man schöne Dinge mit ihnen verbindet, oder weil sie eine besondere stilistische Qualität haben, das heißt, weil sie zu einer gehobenen Stilebene gehören. In diesem letzteren Fall wirken sie – da man sie eben in der normalen Alltagskommunikation nicht verwendet und sie daher dazu neigen, in Vergessenheit zu geraten – nicht selten gleichzeitig auch altertümlich und ein bisschen steif. Man würde sie selbst wohl kaum verwenden, aber man freut sich doch, wenn andere es tun, denn dann wird man sich wieder einmal darüber klar, wie reich doch die Sprache ist. Antlitz und Gemahl (vor allem das Gemahl ›Braut, Ehefrau‹) sind solche Wörter, und auch das heute zu behandelnde Unterfangen, vorgeschlagen von Sylvia Altenbrink aus Damme, gehört wohl dazu.

Das Wort bedeutet, folgt man dem großen Duden, zweierlei: erstens ›Unternehmen‹ (insbesondere ein solches, dessen Erfolg nicht unbedingt gesichert ist, das im Hinblick auf sein Gelingen gewagt ist: ein kühnes, gefährliches, schwierigesUnterfangen), und zweitens – in der Fachsprache des Bauwesens – ›das Unterlegen, Stützen eines Bauteils oder Bauwerks zur Sicherung gegen Absinken o. Ä.‹. In beiden Bedeutungen geht das Substantiv („Hauptwort“) Unterfangen auf das Verb („Zeitwort“) unterfangen zurück, das ebenfalls in zwei Verwendungsweisen vorliegt. Diese kann man, anders als beim Substantiv, auch grammatisch gut unterscheiden: das fachsprachliche etwas unterfangen bedeutet ›unterlegen, unterfüttern, abstützen‹; sich einer Sache unterfangen, mit dem Reflexivpronomen sich und einem Genitivobjekt – einem jener grammatischen Phänomene, die in der Alltagssprache immer seltener werden –, bedeutet ›etwas unternehmen, etwas versuchen‹, auch ›sich an etwas wagen‹ (aus dem Jahr 1574 verzeichnet das Grimm’sche Wörterbuch die Wendung sich des Meeres unterfangen ›sich aufs Meer hinauswagen‹).

In der älteren deutschen Sprache hat etwas unterfangen darüber hinaus noch andere Bedeutungen, die heute keine Rolle mehr spielen, beispielsweise ›Tieren von unten an den Bauch greifen, um ihr Gewicht zu ermitteln‹ oder ›etwas in seine Gewalt bekommen‹.

Ein großes, löbliches, dabei aber gar nicht einmal so schwieriges Unterfangen ist es, sich für die Pflege der Sprache einzusetzen. Was man als Einzelperson dazu tun kann, wird der Sprachwissenschaftler immer wieder einmal gefragt. Einiger Antwort unterfange ich mich, wie bereits in der OV angekündigt, morgen Abend in einem Vortrag, zu dem ich herzlich einlade.    ⋄    Jochen A. Bär

(140) 20. Mai – krakelig

„Wenn jemand krakelig schreibt, sieht das so aus, als ob sich eine Krake über das Papier bewegt hätte“ – so könnte eine Erklärung für unser heutiges Wörterjahrwort lauten, das mein Kollege Martin Winter, seit Semesteranfang emeritierter Professor für die Didaktik der Mathematik, vorgeschlagen hat. Wahrscheinlich hat er seine Anregung auf dem Computer verfasst, so dass nicht feststellbar ist, ob er auf seine eigene Handschrift anspielen wollte. Die ist bei einem Mathematiker aber vermutlich sowieso nicht ›zittrig, ungleichmäßig, schlecht leserlich‹ (so die Definition in Pfeifers „EtymologischemWörterbuch“). Seitdem der Computer samt angeschlossenem Drucker zum allgemeinen Schreibgerät geworden ist, krakelt kaum noch jemand, bis auf ein paar arme Schüler (und Studenten in Klausuren), die genötigt werden, mit der Hand zu schreiben.

Hat aber die Krake (oder der Krake, wie der gemeinte ›Kopffüßer von unterschiedlicher Größe, dessen acht Fangarme mit Saugnäpfen besetzt sind‹ laut dem Universalduden in biologisch korrekter Sprache genannt wird) etwas mit krakeln, krakelig oder kraklig zu tun? Nein, sagen die Wörterbücher und erklären die eingangs zitierte Herkunftsableitung damit zu einer „Volksetymologie“, also zu einer „volkstümlichen, etymologisch falschen Zurückführung auf ein nicht verwandtes lautlich gleiches oder ähnliches Wort“. Stattdessen erfahren wir, dass krak(e)lig, ein umgangssprachlich abwertend gebrauchtes Wort, zum Substantiv („Nomen, Haupt-, Namenwort“) Krakel gehört. Schon mal gehört oder gelesen? Wahrscheinlich nicht, denn das Wort Krakel ist eher im Ostmitteldeutschen (also von Thüringen bis zur Lausitz, früher bis Schlesien) beheimatet, wo es so viel bedeutet wie ›dürrer Ast, dürrer Zweig‹: „danach der diesem ähnliche Schriftzug?“, fragt Pfeifer sich und uns und verweist auf die Krakelfüße ›seltsame Schrift‹ bei Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781), dem Oberlausitzer, und das Krakelwerk ›seltsam gestaltetes Werk‹ bei Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), gebürtig aus Frankfurt am Main, tätig in Weimar (Thüringen).

Vom Verb („Tätigkeits-, Zeitwort“) krakeln abgeleitet ist das Substantiv Krakelei, unter dem man die Aktion, ›das Krakeln‹, und auch das Ergebnis, ›das Gekrakelte‹, versteht. Niederdeutsch ist das die Krakelie.    ⋄    Wilfried Kürschner

(141) 21. Mai – Backfisch

Immer wieder Freude macht das sprachliche Phänomen der Homonymie: Zwei verschiedene Wörter sehen genau gleich aus, so dass man denkt, es sei ein und dasselbe Wort. Ball (›kugelförmiger, gewöhnlich mit Luft gefüllter Gegenstand, der als Spielzeug oder Sportgerät verwendet wird‹) und Ball (›größere festliche Tanzveranstaltung‹) sind Beispiele dafür: das erste ist ein germanisches Wort, das zweite ein romanisches Lehnwort (zu spätlateinisch ballare ›tanzen, hüpfen, springen‹).

Die Verschiedenheit der Bedeutungen ist aber durchaus nicht immer ein Hinweis auf Wortverschiedenheit, denn es ist alltäglich, dass Wörter in andere Zusammenhänge übertragen werden und dass die Ähnlichkeiten, die man ursprünglich dabei im Auge hatte, in Vergessenheit geraten. Ein Beispiel ist Schloss, das erstens ›Schließvorrichtung‹ und zweitens ›Palast‹ bedeutet. Ursprünglich dachte man bei der Adelswohnung eben an eine Burg, und die diente zunächst einmal vorrangig militärischen Zwecken – insbesondere dem ›Schließen‹ von Wegen.

Manchmal gibt es auch Fälle, in denen nicht klar ist, ob ein Wort mehrdeutig ist oder ob man es mit zwei homonymen Wörtern zu tun hat. So bei Backfisch, das offenbar insbesondere Vechtaer Schülerinnen und Schüler zum Fragen bringt. Vorgeschlagen wurde es für unsere Kolumne gleich zweimal: von Viola Fischer (Klasse 9a der Liebfrauenschule: „Es kann auch ›junges Mädchen‹ bedeuten. Warum?“) und vom Deutsch-Leistungskurs des Gymnasiums Antonianum („Backfisch ist, seit wir uns mit der Aktion Jahr der Wörter beschäftigt haben, das neue In-Wort! Es ist eigentlich nur ein Gericht, aber es war tatsächlich früher mal eine Bezeichnung für ein junges Mädchen. Als wären Mädchen Fische! Uns interessiert: wieso? weshalb? warum?“)

Kurz gesagt: Man weiß es nicht. Gängig ist folgende Erklärung: Backfisch war ursprünglich eine Bezeichnung für einen noch nicht voll ausgewachsenen Fisch, der sich aufgrund seiner Größe nicht zum Kochen, sondern nur zum Backen eignet. Sofern diese Herleitung zutrifft, liegt eine übertragene Verwendung von ›Fisch zum Backen‹ auf ›Mädchen in den Entwicklungsjahren‹ vor.

Man findet allerdings auch die Vermutung, dass das Wort aus dem Englischen stamme, wo backfish ein Fisch ist, der noch nicht groß genug ist, um gegessen zu werden, und deswegen wieder ins Wasser zurück (back) geworfen wird. Sollte das stimmen (dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass man Backfisch in der Bedeutung ›junges Mädchen‹ schon im 18. Jahrhundert kannte, als englische Lehnwörter noch selten waren), so läge Homonymie vor, denn dann hätte der Jungmädchen-Backfisch mit dem Fisch zum Backen nichts zu tun.    ⋄    Jochen A. Bär

(142) 22. Mai – Hechtsuppe

Nach der gestrigen Erklärung von Backfisch bleiben wir heute noch ein bisschen in der Nähe des Wassers. Christine Gröneweg von der Universität Vechta (Außenstelle Cloppenburg) hat uns das Wort Hechtsuppe eingesandt.

Wer erwartet, dass wir nun die beiden Wortbestandteile zu klären hätten – der Raubfisch Hecht ist als hehhit schon im Althochdeutschen bekannt, sein Name ist mit hacken und Haken verwandt und bedeutet ›Beißer‹; Suppe (›flüssige Speise‹), verwandt mit saufen, ist ebenfalls ein altes germanisches Wort, das in der Form souper (›Abendessen‹) übrigens ins Französische entlehnt wurde – irrt. Denn es geht bei dem Wort Hechtsuppe nicht um Fischsuppe speziell von Hecht. Man müsste ja sonst fragen, warum es nicht beispielsweise auch Karpfensuppe, Barschsuppe oder Zandersuppe gibt. Immerhin kennt man zwar die Aalsuppe (›deftige, reichhaltige Suppe mit Stücken vom Aal und Gemüse‹); aber Hechtsuppe ist im Deutschen nur in einer ganz bestimmten Redewendung gebräuchlich: Es zieht wie Hechtsuppe (umgangssprachlich: ›es zieht sehr, es herrscht starker Luftzug‹).

Nun hört und liest man zwar immer wieder die Vermutung, dass diese Redewendung eben doch von der Fischsuppe komme und dass eine solche besonders lange bei kleiner Hitze zubereitet werden („ziehen“) müsse, um schmackhaft zu werden. Ziehen wäre dann ein Wortspiel, so wie das ja bei der Wendung es zieht öfters der Fall ist. (Man denke nur an die beliebte Erwiderung auf die in anklagendem Ton, nicht als Feststellung, sondern als Aufforderung zum Tür- oder Fensterschließen vorgebrachte Äußerung „Hier zieht’s!“ – „Dreh dich rum, dann schiebt’s!“)

Wenn das Wortspiel aber die Erklärung wäre, müsste man ja wiederum fragen: Warum zieht es dann nicht auch wie Aalsuppe? Man müsste eine Reihe weiterer Annahmen bemühen, unter anderem die wenig erklärungskräftige Tatsache, dass der Hecht, ein eindrucksvoller Fisch, auch sonst hier und da in Redewendungen vorkommt (der Hecht im Karpfenteich, ein toller Hecht usw.).

Wer all dies als nicht hinreichend ansieht, wird dankbar sein zu erfahren, dass die Herkunft der Redewendung auch eine völlig andere sein könnte. Es zieht wie Hechtsuppe lässt sich möglicherweise auf das hebräische hech supha (›wie starker Wind, wie ein Orkan‹) zurückführen. Diese wunderbar einleuchtende Erklärung jedenfalls bietet Lutz Röhrich in seinem Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten (2. Auflage von 1991) an.

Ob sie auch stimmt? Ehrlich gesagt: Man weiß es nicht wirklich. Aber wenn es nicht anders geht, kann und darf Sprachgeschichte doch am Ende wohl auch dies sein: eine gute Geschichte.    ⋄    Jochen A. Bär

(143) 23. Mai – Spürsinn

Ein Vorschlag für unsere Kolumne von Martina Wiehebrink aus Holdorf: Spürsinn. Dieses Wort hat heute zwei Bedeutungen: ›scharfer Geruchssinn eines Tieres‹, z. B. eines Hundes, und ›feiner Instinkt, der jemanden Dinge ahnen, spüren lässt‹. So kann beispielsweise von kriminalistischem Spürsinn oder Spürsinn für die Feinheiten der Sprache die Rede sein.

Der erste Wortbestandteil kommt von spüren, das zu Spur gebildet ist und im wörtlichen Sinne ›eine Spur suchen, verfolgen‹, dann auch ›einer Sache suchend nachgehen‹ sowie ›etwas wahrnehmen‹ bedeutet. Spur hieß ehemals ›Fußabdruck‹; mehrere Fußspuren, die eine zusammenhängende Reihe bilden und damit dem Jäger die Richtung anzeigen, die das Wild genommen hat, konnte man dann ebenfalls eine Spur nennen. Von dort aus ist es zu der übertragenen Verwendung ›vorgegebene Bahn, auf der man sich fortbewegt‹ (z. B. die Fahrspur im Straßenverkehr) nicht weit, die dann wiederum das Verb spuren (›sich in der vorgeschriebenen Bahn bewegen‹, auch ›gehorchen‹) motiviert.

Spur in der Urbedeutung ›Fußabdruck‹ ist unter anderem verwandt mit Sporn (›Hornstachel an der Ferse mancher Vögel‹, auch ›am Absatz des Reitstiefels angebrachter Metallstachel, mit dem man Pferde antreibt‹) und spornen (eigentlich: ›mit den Füßen antreiben‹). Die enge Beziehung zwischen beiden Wörtern wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass das englische spur zwar das gleiche Wort ist wie deutsch Spur, aber nicht ›Spur‹, sondern eben ›Sporn‹ bedeutet. Englisch to spurn wiederum heißt ›etwas verschmähen‹ (eigentlich: ›mit den Füßen wegstoßen‹), ebenso wie das gleichfalls verwandte lateinische spernere. Und auch lateinisch asper (›rauh, barsch, abstoßend‹) gehört zu dieser Wortfamilie, der letztlich eine indoeuropäische Wurzel sp(h)er(e) (›mit dem Fuß wegstoßen‹, auch ›mit den Füßen zucken, zappeln‹) zugrunde liegt. Sogar das Wort

Sperling

hängt damit zusammen: Der flatternde kleine Vogel ist offenbar ursprünglich als ›zappelig‹ wahrgenommen worden.

Sinn, der zweite Bestandteil von Spürsinn, hieß einst, wie an dieser Stelle schon einmal erläutert – Kolumne Nr. 90 (schicken) vom 31. März –, so viel wie ›Weg, Reise‹. Das dazu gebildete Verb sinnen bedeutete ›einen Weg, eine Fährte verfolgen‹, eine Verwendungsweise, die sich später zu ›etwas beabsichtigen, an etwas denken‹ verallgemeinerte. Das Substantiv („Hauptwort“) Sinn selbst gewann so unter anderem die Bedeutung ›Vermögen, einen Weg, eine Spur zu verfolgen‹ (überhaupt auch ›Wahrnehmungsvermögen‹: Sinn für etwas haben). Streng genommen ist daher Spürsinn ein „schwarzer Rappe“: ›Spurverfolgungsvermögen für eine Spur‹.    ⋄    Jochen A. Bär

(144) 24. Mai – empörend

Wenn wir etwas unerhört finden, skandalös, ungeheuerlich oder haarsträubend, dann drücken wir das womöglich mit dem Adjektiv empörend aus: für unsere Reihe vorgeschlagen von Dr. Sigrid Heising.

In dieser „kommunikativen Rolle“ zeigt das Wort an, wie jemand bezüglich einem Gegenstand, der bei ihr oder ihm ein Gefühl bewirkt, eingestellt ist. Zu denken wäre beispielsweise an das Gefühl der Entrüstung oder Wut, ausgelöst durch eine der Ungerechtigkeiten, die in der Welt ganz oft passieren. So finde ich es empörend, dass die Studentinnen und Studenten vor meinem Bürofenster auf der Wiese liegen und sich sonnen, während ich Kolumnen schreiben muss! Ach ja, und Herr Bär sitzt auch schon wieder dort drüben auf der Bank und trinkt einen Kaffee ...

Eine Internet-Suche gibt Aufschluss darüber, was gegenwärtig in der Öffentlichkeit Empörung auslöst: Heribert Prantel von der Süddeutschen Zeitung findet es empörend, dass Ronald Pofalla in den Vorstand der Deutschen Bahn wechseln soll. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier findet Russlands Verhalten im Ukraine-Konflikt sogar „völlig empörend“, wie in der Frankfurter Rundschau zu lesen ist. Und die „Informationsbeschaffungs-Aktionen“ der NSA halten ebenfalls viele für empörend. Andere wiederum empören sich über den Verfall der deutschen Sprache (auch wenn es den aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht gibt; und auch darüber empören sich manche). Die Beispiele machen deutlich: Empörend übernimmt im Sprachgebrauch zunächst einmal eine Symptomfunktion (will sagen: es ist Anzeichen) für eine emotionale Einstellung. Man kann mit Fug behaupten, dass es – ähnlich wie schlottern, das am 15. März vorgestellt wurde – emotionsindikativ ist.

Das Verb zu empörend ist empören, was zum einen im eben beschriebenen Sinne soviel bedeutet wie ›aufbringen‹ oder ›erzürnen‹. Empören kommt vom mittelhochdeutschen Verb enbœren und meint zum anderen ›sich erheben‹, ›sich in einem Aufstand auflehnen‹, ›sich widersetzen‹ oder ›rebellieren‹.

So ruft der ehemalige französische Widerstandskämpfer und UN-Diplomat Stéphane Hessel in einem in finanzmarktkapitalismuskritischen Kreisen sehr bekannten Essay von 2010 unter dem Titel „Empört Euch!“ (der französische Originaltitel lautet „Indignez-vous !“) dazu auf, gegen die Sozial- und Wirtschaftspolitik aufzubegehren; das Büchlein ist inzwischen zum Bestseller geworden. Der Rebell und Aufrührer hingegen, in diesem Fall der Autor des angesprochenen Buches, kann ein Empörer genannt werden. Die Schrift lässt sich in einem Satz so zusammenfassen: Ein Empörerempört sich, denn er empfindet etwas als empörend, weshalb er zur Empörung aufruft.    ⋄    David Römer

(145) 25. Mai – Sonne

Was unterscheidet den Römer vom Bären? Ersterer muss arbeiten, letzterer darf in der Sonne sitzen und Kaffee trinken (vgl. die gestrige Kolumne empörend von David Römer). Gut, dass man Assistenten hat, denkt der Bär und plant händereibend seine Kolumne für Sonntag: Sonne.

Dieses wunderbare Wort, das zu den Lieblingswörtern der Klasse 1b der Kardinal-von-Galen-Schule in Dinklage gehört (die Kinder schreiben: „Die Sonne strahlt, wärmt uns, ist so schön gelb“), begegnet uns bereits in einem der ältesten Zeugnisse der deutschen Sprache: dem so genannten Wessobrunner Gebet aus dem 8. Jahrhundert. Dort wird vom Anbeginn der Welt berichtet, „dat ero ni uuas. noh ufhimil. noh paum noh pereg ni uuas. ni noh heinig. noh sunna ni scein. noh mano ni liuhta noh der mareo seo“ („dass die Erde nicht war noch der Himmel oben, noch Baum noch Berg war, noch sonst etwas, noch die Sonne schien noch der Mond leuchtete, noch das glänzende Gewässer“).

Sonne ist ein Wort, das alle germanischen Sprachen kennen. Im althochdeutschen sunna ebenso wie im gotischen sunno und im englischen sun weist der Wortstamm ein n auf; demgegenüber gibt es im Gotischen auch das Wort sauil, das gleichfalls ›Sonne‹ bedeutet, ebenso wie im Schwedischen sol. Auch andere, mit den genannten Sprachen innerhalb der großen indoeuropäischen Sprachfamilie verwandte Sprachen haben im Wortstamm das l statt des n, beispielsweise das Lateinische (sol), das Litauische (sáule) und das Griechische (helios).

Wenn man an einem Sonntag das Wort Sonne erläutert, darf ein kleiner Ausflug zu dem Wort Sonntag selbstverständlich nicht fehlen. Der althochdeutsche Ausdruck sunnun tag (›Tag der Sonne‹) ist eine Lehnübersetzung aus dem gleichbedeutenden lateinischen dies solis, das seinerseits nach dem (wiederum gleichbedeutenden) griechischen heméra Helíou gebildet wurde. In der Antike gab man den damals bekannten sieben Planeten (und nach diesen dann auch den Wochentagen) die Namen von Göttern. Sonne und Mond hielt man ebenfalls für Planeten.

Die Germanen lernten die lateinischen Ausdrücke im 4. Jahrhundert kennen und bildeten sie nach ihren eigenen Götternamen um. Der dies Jovis beispielsweise, der Tag des Donnergottes Jupiter, wurde zum Tag des germanischen Gottes Donar „umgewidmet“ und heißt heute Donnerstag.

Die romanischen Sprachen haben aus dem heidnischen ›Tag der Sonne‹ übrigens den christlichen ›Tag des Herrn‹ gemacht: lateinisch dominica dies wurde im Französischen zu dimanche, im Italienischen zu domenica, im Spanischen zu domingo.    ⋄    Jochen A. Bär

(146) 26. Mai – Kaulquappe

Die Kinder der Grundschule Rechterfeld haben sich besonders eifrig am „Jahr der Wörter“ beteiligt. Sie haben insgesamt 40 Wörter benannt, die sie interessant finden. Eines davon behandeln wir heute: Kaulquappe.

Was man darunter versteht, ist natürlich allgemein bekannt: ›im Wasser lebende, schwarze, kugelige Larve eines Froschlurchs, die einen Schwanz hat, der sich im Laufe der Entwicklung zum erwachsenen Tier zurückbildet‹, so definiert es das große Dudenwörterbuch. Die Frage ist nur: Woher kommt das Wort?

Wenn der Sprachwissenschaftler ein Kompositum (ein zusammengesetztes Wort) vor sich hat, dessen Bestandteile er nicht ohne weiteres erklären kann, denkt er in der Regel an so genannte unikale Morpheme, das heißt an Wortbestandteile, die in der Sprache nur ein einziges Mal vorkommen – eben in der fraglichen Zusammensetzung. Schorn- in Schornstein (erläutert in unserer Kolumne Schornsteinfeger vom 11. Januar) ist solch ein unikales Morphem; auch Brom- in Brombeere und Him- in Himbeere gehören dazu.

Sowohl Kaul- als auch -quappe kommen jedoch auch in anderen Zusammensetzungen vor und sind darüber hinaus eigenständige Wörter. Das mundartliche Kaul(e) geht auf das mittelhochdeutsche kule (›Kuhle‹) zurück; dieses wiederum ist zusammengezogen aus kugele (›Kugel‹). Kaule bedeutet beides: einerseits ›Kugel, kugelförmiges Ding‹ und andererseits ›Grube, Loch, rundliche Vertiefung‹. Man findet es in Familiennamen wie Kaulen oder Sandkaulen, aber auch in dem Wort Kaulbarsch (›in Schwärmen lebender, oberseits olivgrüner Barsch mit stachliger Rückenflosse und rundlichem, dickem Kopf‹). Die Kaulquappe heißt also wegen ihres rundlichen, dicken Kopfes so.

Quappe kommt, ähnlich wie die verwandten Wörter quabbeln (›schwabbeln‹) und quabbelig (›schwabbelig‹) aus dem Niederdeutschen und bedeutete ursprünglich wohl ›schleimiger Klumpen, wabbeliges Tier‹. Neben der Kaulquappe kennt das Wörterbuch die Aalquappe (eine Bezeichnung für mehrere unterschiedliche Fischarten), und auch für sich allein kommt Quappe vor. Es steht für einen bestimmten Fisch aus der Familie der Dorsche (zoologisch: Lota lota), kann aber auch als Sammelbezeichnung für Larven von Lurchen unterschiedlicher Art gebraucht werden.

Abgesehen davon, dass Kaulquappen sehr interessante Tiere sind, vor allem dann wenn man ihre Entwicklung zum fertigen Frosch über längere Zeit hinweg beobachten kann, haben sie auch den Sprung in die deutsche Literatur geschafft. Bei Karl May beispielsweise sagt ein Tiermaler auf Motivsuche: „Es wird sich wohl etwas Lebendiges sehen lassen, eine Blindschleiche, eine Kaulquappe, oder eine Touristenfamilie“.    ⋄    Jochen A. Bär

(147) 27. Mai – entzwei

Wenn der Sprachwissenschaftler ein „schönes“ Wort vor sich hat, so fragt er, unter welchem Gesichtspunkt sich dabei von „Schönheit“ sprechen lässt. Ist es der Klang, wie bei Rotunde (15. Mai)? Oder die erfreuliche Assoziation, wie bei Sonne (25. Mai), Gänseblümchen (6. Mai) und Vergissmeinnicht (19. April)? Oder eine emotionale Verbundenheit mit dem, was das Wort bedeutet, wie bei Gott (18. April)? Bei dem Wort entzwei trifft wohl nichts davon zu; seine Bedeutung ist sogar durchaus unerfreulich. Und doch empfinden es nicht wenige Menschen als „schön“, denn es gibt noch ein weiteres Kriterium: den stilistischen Wert. Darunter versteht man ganz neutral zunächst nur die Zugehörigkeit zu einer Stilebene. Betrachtet man bedeutungsgleiche oder -ähnliche Wörter, so fällt auf, dass sie in aller Regeln nicht exakt denselben Stilwert haben, sondern unterschiedlichen Stilebenen angehören. Die veraltenden Wörter Antlitz und Angesicht charakterisiert das große Dudenwörterbuch als „gehoben“, Visage als „salopp abwertend“ und Fresse als „derb“; Gesicht ist demgegenüber das auf einer mittleren Ebene angesiedelte Standardwort: Es ist stilistisch nicht markiert. Ähnlich bei einem Wortfeld wie sterben (unmarkiert), verscheiden, hinscheiden, dahingehen (gehoben), verrecken, abkratzen, abnippeln (salopp).

Bei entzwei, das über das mittelhochdeutsche enzwei bis auf das althochdeutsche in zwei (eigentlich: ›in zwei Teile‹) zurückzuführen ist – Du deilti Got sini werch al in zuei, heißt es im Annolied aus dem 11. Jahrhundert: „Da teilte Gott alle seine Werke in zwei Teile“ –, haben wir ebenfalls eine solche stilistische Markierung vor Augen. Während die Wörter schadhaft und defekt eher unmarkiert sind (allenfalls hat das erste eine gewisse Tendenz zum Amtsdeutsch, das zweite zur Fachsprache) und kaputt laut Duden der Umgangssprache zuzurechnen ist, kann entzwei heute als leicht gehoben gelten. Man betrachte nur die Formulierung „Der Teller ist kaputt“ gegenüber „Der Teller ist entzwei“.

Entzwei wurde von meiner Hamburger Kollegin Jana Tereick vorgeschlagen, die auch Lehrbeauftragte an der Universität Vechta ist und daher Anteil an der hiesigen Beschäftigung mit Sprache nimmt.

Das Zahlwort zwei hat man übrigens in der älteren Sprache flektiert („gebeugt“): Man hatte verschiedene Formen für die drei Genera („Geschlechter“): zween Männer, zwo Frauen, zwei Kinder. Erst nach und nach hat sich das Neutrum für alle Genera durchgesetzt. Speziell im Telefonverkehr hat man im 20. Jahrhundert das längst ausgestorbene zwo wieder aufgegriffen, um eine Verwechslung mit dem ähnlich klingenden drei zu vermeiden.    ⋄    Jochen A. Bär

(148) 28. Mai – lüpfen

Zu denjenigen Wörtern, deren Herkunft „ungeklärt“ (Duden) ist, gehört lüpfen. Es bedeutet ›emporheben, in die Luft heben‹: Man lüpft beispielsweise eine Decke oder einen Schleier (beides bei Goethe belegt), einen Deckel, einen Vorhang, insbesondere eine Kopfbedeckung (den Hut, die Kappe, die Mütze oder Ähnliches). Ein Vogel kann auch die Flügel lüpfen (Max Weber), und bei dem Dichter Stefan George lüpfen sich „duftige nebel“. In einem Herbstgedicht von Richard Dehmel liest man: „Sonne lacht; die Stoppelfelder schimmern. / An verfärbten Blättern zupft der Wind, / Früchte lüpfend. Heimlich Leben spinnt / weiße Fäden; rings im Blauen flimmert’s.“

Wenn „es“ jemanden lüpft, bedeutet das, dass ihm übel wird. In der älteren Sprache findet man auch Formulierungen wie ein Lupf zu Ehren (›Beförderung‹).

Eine vor allem im süddeutschen Sprachraum (auch in Österreich und der Schweiz) verbreitete dialektale Nebenform zu lüpfen ist lupfen. Allgemeinsprachlich ist ein leichter Unterschied in der Bedeutung zu erkennen: Während lüpfen ›emporheben‹, also ›mehr oder weniger senkrecht in die Höhe heben‹ bedeutet, sagt man lupfen, wenn man etwas emporhebt und gleichzeitig noch in eine weitere Richtung befördert. So kann man im Fußballjargon den Ball lupfen, das heißt in einem Bogen über jemanden (meist aus der gegnerischen Mannschaft) hinwegbefördern.

Eine einigermaßen naheliegend scheinende Erklärung findet man hier und da in der wissenschaftlichen Literatur: Lüpfen sei verwandt mit Luft und also eigentlich eine Nebenform zu lüften. Dem Grimm’schen Wörterbuch zufolge gibt es allerdings nur eine Bedeutungsverwandtschaft, keine Wortverwandtschaft. Vermutet wird, dass lupfen (so wie schnupfen zu schnaufen) eine Intensivbildung zu laufen sein könnte. Es „würde demnach eigentlich aussagen“, jemanden oder etwas „mit Anstrengung zur Bewegung [zu] bringen, was durch Angreifen und Heben geschieht“. Der Umlaut von u zu ü wäre dann allenfalls durch Anlehnung an lüften zu erklären.

Ob das zutrifft oder nicht, müssen wir hier offen lassen. Eine eigenständige etymologische Untersuchung, die ein intensives Studium nicht nur deutschsprachiger Quellen, sondern auch anderer Sprachen erforderte, können wir mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht leisten.

Lüpfen ist sprachhistorisch erst relativ spät belegt: Es findet sich nicht im Althochdeutschen und im früheren Mittelhochdeutschen. Schriftsprachlich ist es erst seit dem 19. Jahrhundert einigermaßen gut belegt.    ⋄    Jochen A. Bär

(149) 29. Mai – Himmelfahrtsnase

Passend zum Feiertag ist ein Wort vorgeschlagen worden, das den Namen dieses Feiertags in sich trägt. Unter einer Himmelfahrtsnase versteht man umgangssprachlich scherzhaft (wie der Universalduden vermerkt) eine nach oben, also himmelwärts gebogene Nase. Im einschlägigen Wörterbuch der deutschen Umgangssprache von Heinz Küpper ist zu lesen, dass das Wort im 19. Jahrhundert aufgekommen ist. Seine beiden Bestandteile sind dagegen viel älter. Nase ist in dieser oder ähnlicher Form in zahlreichen indoeuropäischen Sprachen vorhanden (engl. nose, französ. nez, latein. nasum/nasus, altindisch nas-), was auf Urverwandtschaft schließen lässt.

Anders beim ersten Bestandteil, Himmelfahrt, dessen beide Komponenten allein dem germanischen Zweig der indoeuropäischen Sprachfamilie angehören. Himmel (und auch die Vorform von engl. heaven) gehört, wie Pfeifer vermutet (und Kluge bezweifelt), zur selben Wortfamilie wie Hemd, sodass von einer gemeinsamen Wurzel *kem- ›bedecken, verhüllen‹ ausgegangen werden kann (das Sternchen zeigt wieder an, dass die Form rekonstruiert, nicht belegt ist).

Fahrt ist eine Substantivierung („Umwandlung in ein Nomen oder Haupt-/Namenwort“) des Verbs („Tätigkeits-/Zeitwort“) fahren. Dabei handelt es sich um ein gemeingermanisches Wort (im Althochdeutschen faran, im Mittelhochdeutschen varn), „ursprünglich die allgemeinste Bezeichnung für jede Art der Fortbewegung (›gehen, reiten, fahren, schwimmen, fliegen‹ in sich einschließend)“. Es wurde, wie Pfeifer weiter vermerkt, „erst allmählich auf die Fortbewegung mit Wagen, Schiffen, Fahrzeugen aller Art eingeschränkt“. Als das Wort Himmelfahrt um 1000 nach Christi Geburt entstand, lag noch die erste, allgemeine Bedeutung zugrunde, während die vielleicht noch bekannte kalauernde Frage nach dem ersten Motorrad mit der Antwort „Triumph“ auf die jetzige, eingeschränkte Bedeutung anspielt: „Was war das erste Motorrad? – Triumph, denn Jesus fuhr mit Triumph in den Himmel.“

Das bringt uns auf den vollen Namen des Feiertags: Christi Himmelfahrt. Denn daneben gibt es für Gläubige weitere: Mariä Himmelfahrt (nach der die katholische Kirchengemeinde in Vechta benannt ist) oder Mohammeds Himmelfahrt. In einigen Nachbarsprachen wird übrigens lexikalisch zwischen Christi Himmelfahrt und Mariä Himmelfahrt unterschieden (und der Zielort bleibt unbenannt), etwa engl. Ascension (von lat. ascensio ›Aufstieg‹) und Assumption (von lat. assumptio ›Annahme, Aufnahme‹).

Manchen ist Ursprung und Bedeutung des christlichen Himmelfahrtstages nicht mehr bekannt oder bewusst, sicherlich vielen von denen, die den freien Tag als Vatertag begehen, der das Gegenstück zum Muttertag darstellen soll. Sein Kernelement ist, wie der Wikipedia-Artikel treffend bemerkt, „die Einweihung der Jüngeren in die Sitten und Unsitten von Männlichkeit“. Bei dieser Gelegenheit holt sich manch einer, ob mit oder ohne Himmelfahrtsnase, eine Schnapsnase.    ⋄    Wilfried Kürschner

(150) 30. Mai – Brückentag

Brückentage – Daniel Richter (Lutten) hat das Wort für unsere Kolumne vorgeschlagen – sind allseits beliebt. Man versteht darunter einen ›zwischen zwei arbeitsfreien Tagen, etwa einem Feiertag und dem Wochenende, liegenden einzelnen Arbeitstag, der sich besonders als Urlaubstag anbietet‹ – so liest man es im großen Duden. Der heutige Freitag nach Christi Himmelfahrt ist ein Brückentag; ich hoffe, dass möglichst viele meiner Leserinnen und Leser ihn tatsächlich als freien Tag genießen können!

Sprachlich ist das Wort Brückentag nicht weiter kompliziert. Man versteht die Zusammensetzung trotz der Bildlichkeit unmittelbar: Die Kluft, die Lücke zwischen zwei arbeitsfreien Tagen wird dadurch „überbrückt“, dass man auf den Brückentag einen Urlaubstag oder auch einen so genannten Zeitausgleichstag (das „Abfeiern“ angesammelter Überstunden) legt. Auf diese Weise entsteht bei Opferung von möglichst wenig der wertvollen gesetzlich garantierten Urlaubstage eine zusammenhängende arbeitsfreie Zeit, in der sich vielleicht sogar eine kleinere Reise lohnt.

Fragt man – was der Erklärbär bekanntlich gern tut – nach der Herkunft der beiden Wortbestandteile, so findet man heraus, dass Brücke verwandt ist mit Prügel (›Holzstück, Knüppel‹) und ursprünglich so viel bedeutete wie ›Balkenwerk, Plattform aus Holz‹. Sieht man von der materiellen Beschaffenheit ›aus Holz‹ einmal ab, kann man den Bedeutungskern heute noch in Wortbildungen wie Aussichtsbrücke, Kommandobrücke oder auch Anlegebrücke erkennen.

Woher Tag kommt, ist historisch nicht ganz klar. Vermutet wird eine indoeuropäische Wurzel mit der Bedeutung ›warme, helle Tageszeit‹ im Gegensatz zur kalten, dunklen Nacht, aus der sich dann erst später die Bedeutung ›Zeitabschnitt von 24 Stunden‹ entwickelt hat.

Da einige Feiertage bundesweit, andere aber nur regional gültig sind, unterscheidet sich auch die mögliche Zahl der Brückentage von Bundesland zu Bundesland. Etwas pauschal gesagt sind die südlicheren Regionen bevorzugt: dort sind mancherorts beispielsweise der Dreikönigstag und Fronleichnam arbeitsfrei. Die Bundesländer mit den meisten gesetzlichen Feiertagen sind aktuell Bayern (dreizehn), Baden-Württemberg und das Saarland (je zwölf); Niedersachsen hat, wie die meisten anderen Bundesländer, nur neun.

Apropos Süden: In Österreich sind Brückentage selbstverständlich ebenfalls beliebt. Hier heißen sie auch Fenstertage oder Zwickeltage (nach dem Zwickel, einem meist keilformigen Stoffeinsatz in Kleidungsstücken).    ⋄    Jochen A. Bär

(151) 31. Mai – Katafalk

Nach dem gestrigen Brückentag ist es Zeit, wieder einmal an unseren Bildungsauftrag zu denken: Wortschatzerweiterung ist ein Anliegen nicht nur des schulischen Deutschunterrichts, sondern selbstverständlich auch beim „Jahr der Wörter“. Dem entsprechend behandeln wir hier nicht nur Allerweltswörter, sondern auch immer wieder einmal solche, die nicht alltäglich sind. Katafalk gehört mit Sicherheit dazu.

Was ist ein Katafalk? Mit ›schwarz verhängtes Gerüst, auf dem der Sarg während der Trauerfeierlichkeiten steht‹ gibt der große Duden die Bedeutung an. Fügungen wie schwarzer/schwarzverhüllter/düsterer/hoher/prächtiger/pomphafter Katafalk finden sich in der Literatur; von einem katafalkähnlichen Bett ist die Rede bei Marie von Ebner-Eschenbach.

„Die Wärter schleichen auf den Sohlen leise, / Wo durch das Tuch es weiß von Schädeln blinkt. / Wir, Tote, sammeln uns zur letzten Reise / Durch Wüsten weit und Meer und Winterwind. // Wir thronen hoch auf kahlen Katafalken, / Mit schwarzen Lappen garstig überdeckt. / Der Mörtel fällt. Und aus der Decke Balken / Auf uns ein Christus große Hände streckt.“ So ein Gedicht des Expressionisten Georg Heym von 1912. Das Gedicht erschien posthum: Heym war kurz zuvor im Alter von 24 Jahren beim Schlittschuhlaufen ins Eis eingebrochen und ertrunken.

Altersmäßig näher am Katafalk, doch deutlich entspannter klingt es im Tagebuch des 80-jährigen Goethe (6. März 1830): „Abends Oberbaudirector Coudray, das Modell mit den beyden Fürstlichen Profilen bringend, Nachrichten von dem errichteten Katafalk ertheilend. Mit [Enkel] Wölfchen Domino gespielt.“

Katafalk wurde im 18. Jahrhundert aus dem französischen catafalque entlehnt, das seinerseits auf das italienische catafalco zurückgeht. Dasselbe gilt übrigens für französisch chafaut, der Vorstufe für das deutsche Schafott. Allen diesen Ausdrücken zugrunde liegt wohl das vulgärlateinische catafalicum (›Gerüst, erhöhte Plattform‹), einer Bildung zu lateinisch fala (›hohes Gerüst‹). Möglicherweise lässt sich das Wortelement kata- auf einen Einfluss des lateinischen catasta (›Schaugerüst beim Sklavenkauf‹) zurückführen.

Kein allzu erfreulicher Ausdruck also, weder was die Herkunft noch was die aktuelle Bedeutung angeht. Und doch: Ihn zu kennen, verschafft, da durchaus nicht allzu viele es tun, mit Sicherheit Vorteile beim Angeben und beim Scrabble.    ⋄    Jochen A. Bär