Springe zum Inhalt

Prof. Dr. phil. habil. Jochen A. Bär

Germanistische Sprachwissenschaft

Lehrveranstaltungen: Historiolinguistik

Sprachgeschichte des 20. Jahrhunderts

Gegenstand: Das 20. Jahrhundert unter sprachhistorischem Aspekt zu behandeln, mag auf den ersten Blick wenig naheliegend erscheinen: Der historische Abstand ist gering; für viele Zeitgenossen, vor allem für die ältere Generation, ist es noch völlig aktuell, will sagen: Die Sprache des 20. Jahrhunderts ist die eigene Sprache, diejenige, die man gelernt hat und selbst zu sprechen meint. Texte von Günter Grass, Heinrich Böll, Bertold Brecht oder Hermann Hesse sind uns in ganz anderer Weise „gegenwärtig“, will sagen: unmittelbar zugänglich, als solche von Wieland, Grimmelshausen, Luther oder gar Wolfram von Eschenbach. — Sprachgeschichtliche Betrachtung impliziert allerdings keineswegs notwendig einen großen zeitlichen Abstand. Stattdessen zeigt sich, dass Sprache sich auch in vergleichsweise kleinen Zeiträumen tiefgreifend wandeln kann. Für das 20. Jahrhundert gilt dies auf nahezu allen Ebenen der Betrachtung, von der Grammatik über den Wortschatz und das Textsortenspektrum bis hin zu den soziopragmatischen Mustern der Sprachverwendung, darüber hinaus für das Verhältnis der sprachlichen Varietäten untereinander und für den fremdsprachlichen Einfluss, und nicht zuletzt auch für die Frage nach dem Sprachbewusstsein (d. h. hier vor allem: dem Normen- und Regelbewusstsein) der Sprecherinnen und Sprecher. — Zum Verständnis der sprachhistorischen Entwicklungen während des 20. Jahrhunderts ist sinnvollerweise die Vorgeschichte (zumindest seit dem späten 18. Jahrhundert) mitzuberücksichtigen. Ebenso interessant erscheint die Beobachtung von Entwicklungstendenzen, d.h. die Frage nach der Zukunft der deutschen Sprache. Wer beides gleichermaßen in den Blick nimmt, findet Grund, eine sprachhistorische Periodengrenze in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Erwägung zu ziehen – eine Überlegung, die im Seminar diskutiert werden kann und sollte.

Literatur:

  • Androutsopoulos, Jannis K. (1998): Deutsche Jugendsprache. Untersuchungen zu ihren Strukturen und Funktionen. Frankfurt a. M. u. a.
  • Androutsopoulos, Jannis K. (2001): Ultra korregd Alder! Zur medialen Stilisierung und Popularisierung von 'Türkendeutsch'. In: Deutsche Sprache 4, 321–339.
  • Bär, Jochen A. (2001): Fremdwortprobleme. Sprachsystematische und historische Aspekte. In: Der Sprachdienst 45, 121–133 u. 169–182.
  • Bär, Jochen A. (2002): Darf man als Sprachwissenschaftler die Sprache pflegen wollen? Anmerkungen zu Theorie und Praxis der Arbeit mit der Sprache, an der Sprache, für die Sprache. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 30, 222–251.
  • Bär, Jochen A. (2009): Die Zukunft der deutschen Sprache. In: Sprache Hrsg. v. Ekkehard Felder. Berlin/Heidelberg (Heidelberger Jahrbücher 53), 59–106.
  • Besch, Werner/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hgg.) (1984; 1985): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2 Halbbände, Berlin/New York. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2, 1; 2, 2)
  • Besch, Werner/Anne Betten/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hgg.) (1998; 2000; 2003; 2004): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Auflage. 4 Teilbände. Berlin/New York. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2,1; 2,2; 2,3; 2.4).
  • Braun, Peter (1979): Tendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. Stuttgart u. a.
  • Gardt, Andreas (2001): Das Fremde und das Eigene. Versuch einer Systematisierung des Fremdwortbegriffs in der deutschen Sprachgeschichte. In: Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz. Aktueller lexikalischer Wandel. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin/New York, 30–58.
  • Gardt, Andreas/Klaus J. Mattheier/Oskar Reichmann (Hgg.) (1995): Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien. Tübingen. (Reihe Germanisti­sche Linguistik 156).
  • Gloy, Klaus (1998): Sprachnormierung und Sprachkritik in ihrer gesellschaftlichen Verflechtung. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. v. Werner Besch/Anne Betten/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger. 2. Auflage. 1. Teilbd. Berlin/New York (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2,1), 396–406.
  • Glück, Helmut / Wolfgang W. Sauer (1990): Gegenwartsdeutsch. Stuttgart. (Sammlung Metzler 252)
  • Günthner, Susanne (2007): Techniken der »Verdichtung« in der alltäglichen Narration. Kondensierungsverfahren in Beschwerdegeschichten. In: Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. Hrsg. v. Jochen A. Bär / Thorsten Roelcke / Anja Steinhauer. Berlin/New York (Linguistik – Impulse und Tendenzen 27), 131–158.
  • Hoberg, Rudolf (1990): Sprachverfall? Wie steht es mit den sprachlichen Fähigkeiten der Deutschen? In: Muttersprache 100, 233–243.
  • Hoberg, Rudolf (2000): Sprechen wir bald alle Denglisch oder Germeng? In: Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende. Sprachkultur oder Sprachverfall? Hrsg. v. Karin M. Eichhoff-Cyrus / Rudolf Hoberg. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich (Thema Deutsch 1), 303–316.
  • Kämper, Heidrun / Hartmut Schmitt (Hgg.) (1998): Das 20. Jahrhundert. Sprachgeschichte – Zeitgeschichte. Berlin/New York (IDS-Jahrbuch 1997).
  • Law, Claudia (2002): Das sprachliche Ringen um die nationale und kulturelle Identität Deutschlands. Puristische Reaktionen im 17. Jahrhundert und Ende des 20. Jahrhunderts. In: Muttersprache 112, 67–83.
  • Polenz, Peter von (1991; 1994; 1999): Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. 3 Bd. Berlin/New York.
  • Pörksen, Uwe (1988): Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart.
  • Schiewe, Jürgen (2001): Aktuelle wortbezogene Sprachkritik in Deutschland. In: Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz. Aktueller lexikalischer Wandel. Hrsg. v. Gerhard Stickel. Berlin/New York, 280–296.
  • Steinhauer, Anja (2007): Kürze im deutschen Wortschatz. In: Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. Hrsg. v. Jochen A. Bär / Thorsten Roelcke / Anja Steinhauer. Berlin/New York (Linguistik – Impulse und Tendenzen 27), 131–158.
  • Teuber, Oliver (1998): fasel beschreib erwähn – Der Inflektiv als Wortform des Deutschen. In: Germanistische Linguistik 141–142, 7–26.
  • Wiechers, Silke (2001): »Wir sind das Sprachvolk« – aktuelle Bestrebungen von Sprachvereinen und -initiativen. In: Muttersprache 111, 147–162.
  • Wiechers, Silke (2004): Die Gesellschaft für deutsche Sprache. Vorgeschichte, Geschichte und Arbeit eines deutschen Sprachvereins. Frankfurt a. M. u. a. (Sprache in der Gesellschaft 28.)

Weitere Literatur wird im Laufe des Semesters genannt.

Veranstaltet im:

  • WS 2007/08: Hauptseminar (Universität Gießen, Institut für Germanistik)