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Agrarwandel managen: Nachhaltigkeit gemeinsam umsetzen

 Montag, 17.07.2023

Forschungsverbund trafo:agrar diskutiert Bedingungen für das Gelingen einer Nachhaltigkeitstransformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Niedersachsen

Rund 130 Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Beratung und landwirtschaftlicher Praxis diskutierten am 05.07.2023 auf der 4. Jahrestagung des Verbunds Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar) in Hannover-Ahlem Wege für den  zweitwichtigsten Wirtschaftssektor Niedersachsens hin zu einem nachhaltigen, klimaverträglichen und ressourcenschonenden Agrarsystem der Zukunft. Gastgeber und Mitveranstalter war die Landwirtschaftskammer Niedersachsen.

Durch den Tag führte als Moderatorin Dr. Barbara Grabkowsky, die Leiterin der Verbunds trafo:agrar. In ihrer Begrüßung führte Grabkowsky aus, dass eine Bedingung für das Gelingen des Transformationsprozesses die aktive Einbeziehung aller Stakeholder sei. Mit diesem transdisziplinären Ansatz schaffe der Verbunds trafo:agrar "Zielwissen", d.h. Visionen und Leitbilder für die Landwirtschaft von morgen, "Systemwissen", z. B. Kenntnis von Prozessen und Abläufen im aktuellen Wertschöpfungssystem, und erarbeite zusammen mit Akteuren aus der Praxis und Wissenschaft auch konkretes "Transformationswissen", d.h. wie ein nachhaltiger Wandel in ländlichen Räumen und auf verschiedenen Höfen Niedersachsens bewerkstelligt werden kann. „Auf diese Weise entsteht ‚sozial robustes‘ Wissen für die große Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft“, so Grabkowsky.

Im ersten Impulsvortrag ging Prof. Dr. Achim Spiller, Universität Göttingen, auf den Einfluss der europäischen und deutschen Ernährungsstrategie auf die Transformation des Agrarsektors ein. Anhand zahlreicher Beispiele gesellschaftlicher Herausforderungen wie dem Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen und zahlreicher ernährungsbedingter Erkrankungen stehe die Bundesregierung in der Verantwortung zu handeln. Hierfür würden beispielsweise unterschiedlich regulierenden Instrumente wie etwa Werbebeschränkungen oder Steuererhöhungen auf ungesunde Nahrungsmittel diskutiert. Eine so aktiv herbeigeführte Veränderung der Ernährungsgewohnheiten werde auch unweigerlich einen Einfluss auf den Agrarsektor haben und beispielsweise einen höheren Anteil pflanzlicher Lebensmittel erfordern.

Im Anschluss diskutierten Dr. Grabkowsky (trafo:agrar), Miriam Staudte (niedersächsische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Gerhard Schwetje (Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen) sowie Hans-Joachim Harms (Fachbeiratsvorsitzender von trafo:agrar) die Zielbilder der Landwirtschaft in Niedersachsen.

Ministerin Miriam Staudte:

Ich habe einen ganzheitlichen Blick auf die Landwirtschaft in Niedersachsen, denn die Klimakrise betrifft uns alle.  Nachhaltige und ökologisch sinnvolle Geschäftsmodelle sind wichtig, damit die landwirtschaftlichen Betriebe wirtschaftlich tragfähig bleiben.

Auch die Ernährungsbildung der Verbraucherinnen und Verbraucher trägt dazu bei, dass unser Planet nicht weiter überlastet wird. Die Niedersächsische Ernährungsstrategie zielt auf fünf Handlungsfelder ab: Gemeinschaftsverpflegung, Ernährungsbildung, Regionalität und Saisonalität, Lebensmittelverschwendung und Lebensmittelwertschätzung. Schulmensen wollen wir beispielsweise zu Lernorten weiterentwickeln“.

Gerhard Schwetje betont die Notwendigkeit, den Weg der Transformation gemeinsam zu beschreiten. „Für den Wandel braucht es betriebsspezifische und an die regionalen Spezifika angepasste Konzepte sowie eine Wissenschaft, die an der Seite der landwirtschaftlichen Praxis vorausdenkt“, führte der Kammerpräsident aus. „Wir engagieren uns im Verbund trafo:agrar, da die Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit allen Akteuren gemeinsam angegangen werden muss. In diesem im Verbund arbeiten zentrale Akteure für Niedersachsen auf Augenhöhe zusammen.“, so Schwetje. Neben passenden rechtlichen Produktionsbedingungen sei zudem die Ernährungsbildung sehr wichtig, „weil wir den Verbraucher mitnehmen müssen. Wertschätzung für die heimische Landwirtschaft muss sich direkt an der Ladentheke zeigen und das geht nur mit umfassendem Wissen“, so der Kammerpräsident und praktische Landwirt, der die Herausforderungen der Branche ganzheitlich einordnete.

Transformation erfasst alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche, die wir haben. Und Transformation ist eine Aufgabe, für die wir nicht mehr viel Zeit haben. Sie ist sehr drängend“, ermahnte Hans-Joachim Harms, Fachbeiratsvorsitzender von trafo:agrar. Er stimmt seinen Vorredner:innen zu, dass diese Prozess ein gemeinsamer Prozess sei. „Wichtig ist, dass Impulse von Wirtschaft und Beratung in die Wissenschaft und Impulse von der Wissenschaft zurück in die Beratung und in die Praxis getragen werden“, formuliert er. Und eben hier könne trafo:agrar die notwendigen Fragen beantworten, Maßnahmen und Ziele entwickeln und in die Praxis tragen und sogar der Politik Vorschläge machen, wie diese Maßnahmen mit Anreizen begleitet werden können. „Hätten wir nicht trafo:agrar schon, müssten wir es dringend erfinden“, so der Fachbeiratsvorsitzende des Verbunds.

Prof. Dr. Stefanie Bröring thematisierte im zweiten Impulsvortrag mögliche Herausforderungen für Transformation und Geschäftsmodellinnovationen. Neue Technologien würden das Agrarsystem verändern und die Entstehung neuer Geschäftsmodelle auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette bewirken, jedoch bei allen Akteuren auch Fragen aufwerfen. Deshalb seien Dialog und Wissenstransfer zwischen allen Akteuren und auf allen Ebenen stets von hoher Relevanz, insbesondere gegenüber Kleinunternehmen und Praktikern, um Innovationen auch in die Umsetzung bringen zu können. Außerdem müssten in Deutschland entsprechende Ausbildungsmöglichkeiten für die spezifischen, neuen Geschäftsfelder geschaffen werden, wie es in vielen anderen Ländern bereits etabliert sei.

Den anschließenden Wissenschafts-Praxis-Dialog „Zukunft Tier“ leitete Prof. Dr. Nicole Kemper von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover mit einer Präsentation zum Status Quo, Anforderungen und Perspektiven für die Tierhaltung, ein. Das Ziel müsse ein nachhaltiges, kreislauforientiertes Agrar- und Ernährungssystem sein, in dem die Nutztierhaltung weiterhin seinen festen Platz hat. Norbert Ihorst vom Beratungsring Osnabrück berichtete aus seinem Alltag auf den Betrieben in der Milchviehhaltung. Leider seien viele Aufträge davon geprägt, Landwirt:innen bei der Bewältigung der bürokratischen Arbeit zu unterstützen. Es bleibe kaum Zeit für perspektivische Arbeit und Planungen für die Zukunft, woran sich dringend etwas ändern müsse. Gesa Langenberg, studierte Agrarwissenschaftlerin und Landwirtin, machte Mut mit Schilderungen aus ihrem persönlichen Berufsalltag und den bereits umgesetzten Projekten im Bereich Tierwohl. Die Kot-Harn-Trennung im Schweinestall und Agroforst seien hierbei nur zwei Beispiele Ihrer zahlreichen Aktivitäten und Ideen. Alle drei Diskutant:innen waren sich einig, dass es nicht am Willen der Landwirt:innen mangele, sondern die Rahmenbedingungen für den Transformationsprozesse oftmals nicht passen würden.

Den Wissenschafts-Praxis-Dialog „Zukunft Pflanze“ moderierte Dr. Stefanie Retz, stellvertretende Leiterin von trafo:agrar. Prof. Dr. Susanne Neugart vom Department für Nutzpflanzenwissenschaften der Georg-August-Universität Göttingen, Markus Gerhardy, Landwirt und Vorsitzender des Ausschusses Pflanzenproduktion, sowie der Geschäftsführer des Ackerbauzentrums Hilmar Freiherr von Münchhausen waren sich einig, dass eine stärkere Vernetzung und ein kontinuierlicher Dialog von Landwirt:innen mit vor- und nachgelagerten Bereichen sowie Politik und Wissenschaft unabdingbar sei, um neue Ansätze z.B. im Hinblick auf den Anbau neuer Ackerkulturen entsprechend umsetzbar zu machen. Wichtig sei hier zuerst der Fokus auf die Landwirt:innen und deren Abnehmer wie z.B. Mühlen, die mit neuen Herausforderungen im Hinblick auf Anbau und Verarbeitung konfrontiert werden. Laut Freiherr von Münchhausen sei zusätzlich aber auch eine ganzheitliche Betrachtung zusammen mit der Tierproduktion notwendig, da alle Themenfelder miteinander zusammenhängen.

Die Podiumsdiskussion nach der Mittagspause wurde von Stefan Ortmann, dem stellvertretenden Direktor der Landwirtschaftskammer, moderiert. Den Diskursbeginn leite Ortmann mit der Fragestellung ein: Wie kann die Weiterentwicklung der Landwirtschaft im Sinne der Nachhaltigkeitstransformation gelingen kann?

Christoph Willecke von der SPD-Fraktion im Landtag führte aus, dass die Politik in der Verantwortung stehe, um Diversifizierung und neue Vermarktungskonzepte zu ermöglichen. Greta Garlichs von der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion im Landtag betonte die Relevanz notwendiger Planungssicherheit für die Landwirt:innen und, dass der gesellschaftliche Wandel der aktuellen Politik in die Hände spiele. Aus der Wissenschaft äußerte Prof. Dr. Bernhard Brümmer, Vizepräsident der Georg-August-Universität Göttingen, den Wunsch, dass im Transformationsprozess der globalen Verantwortung nachgekommen und die Entrepreneurship-Education mehr in den Fokus gerückt werde. Dr. Torsten Slink, Hauptgeschäftsführer der Oldenburgischen Industrie- und Handelskammer führte aus, dass die Landwirtschaft der Zukunft uns auch morgen noch ernähren können müsse, der stete Wandel jedoch schon immer Fakt und die Landwirtschaft Basis für eine sehr erfolgreiche vor- und nachgelagerte Industrie sei. Sven Guericke, Vorsitzender des Agrar- und Ernährungsforums OM e.V., wünschte ein Umdenken von Quantität hin zu Qualität, intelligente, umsetzbare Lösungen und zielgerichtete Folgenabschätzungen im Vorfeld. Gerhard Schwetje als Landwirt und Präsident der LWK Niedersachsen betonte die Systemrelevanz der Landwirtschaft, die jedoch auf ein Umfeld angewiesen sei, welches von Politik und Gesellschaft geprägt werde. Alle Diskutant:innen waren sich einig, dass die Landwirtschaft in Niedersachsen bereits auf einem sehr guten Weg sei und der stetige Dialog auf Augenhöhe der Weg in eine erfolgreiche Zukunft bleibe.

Im Anschluss wurde zum zweiten Mal der trafo:nachwuchspreis vergeben. Dieser zeichnet innovative Konzepte, Technologien, Produkte und Lösungen aus, die zu einer nachhaltigkeitsorientierten Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft beitragen. Eingereicht werden konnten Abschlussarbeiten aus allen Hochschulen des Verbunds. Nachdem die drei bereits im Voraus von einer Jury ausgewählten Preisträger:innen ihre Arbeiten in Form einer Pecha Kucha Präsentation vorgestellt hatten, übergab Ministerin Staudte die Preise.

Ministerin Miriam Staudte:

Ich bin begeistert, mit welchem Elan und mit welcher Wissbegier die Preisträgerinnen und der Preisträger ihre hochaktuellen Arbeiten angegangen sind: Lebensmittelabfälle vermeiden, mehr Tierwohl und Stoffstrombilanz. Damit leisten sie einen Beitrag zur Transformation der Landwirtschaft“.

Der erste Preis ging an Friederike Sieve von der Georg-August-Universität Göttingen für Ihre Dissertation „Stickstoffflüsse in verschiedenen Milchproduktionssystemen im Nordwesten Deutschlands“. Der zweite Preis ging an Martin Otten von der Hochschule Osnabrück für seine Masterarbeit zum Thema Hitzestress bei Milchkühen. Der dritte Preis ging an Ronja Herzberg von der Georg-August-Universität Göttingen für Ihre Dissertation um Thema „Vermeidung von Lebensmittelverschwendung“.

In ihrem Schlusswort zog die Ministerin eine positive Bilanz der Veranstaltung und dankte dem ausrichtenden Verbund trafo:agrar sowie der Landwirtschaftskammer für die Organisation.

Link: Video trafo:jahrestagung 2023 Teil 1
Link: Video trafo:jahrestagung 2023 Teil 2


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