Springe zum Inhalt

Klima - Erinnerungen und Beobachtungen

Magret Irmer

Als leidenschaftliche Imkerin bin ich, wann immer es geht, draußen in meinem Garten. Meine Klimageschichte handelt von den scheinbar kleinen und doch bedeutenden Veränderungen, die ich seit einigen Jahren beobachte und die mich nachdenklich stimmen. Ich höre den Kiebitz nicht mehr rufen, die Lerche nicht mehr trillern und die Frösche nicht mehr quaken. Es ist still geworden in der Natur.

 

Kindheit in den 1950er und 60er Jahren

„Wir haben uns hier die beste Gegend ausgesucht“, hatte früher  mein Opa gesagt, der in Norddeutschland Bauer war. Gemeint hatte er das hinsichtlich Naturkatastrophen, die es hier so gut wie nie gab. Keine Erdbeben, keine Wirbelstürme, keine Lawinen, keine außerordentlichen Überschwemmungen, keine Dürreperioden etc.  Mein Opa, der 1963 starb, konnte nicht ahnen, was auf Norddeutschland noch zukommen würde.

Ich erinnere mich, dass meine Mutter - wenn es zu lange regnete - oft das Kinderlied sang, „Lieber Gott lass die Sonne wieder scheinen“, und wenn es lange trocken gewesen war, sang mein Vater „es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass“.  Der Wettergott hatte es noch gut gemeint. Wettermäßig war die Welt in Nordwestdeutschland in meiner Kindheit in den 1950er und 1960er Jahren noch in Ordnung. Für die Bauern war und ist das Wetter immer der wichtigste Faktor, wobei sicherlich der Regen manchmal noch etwas wichtiger ist, als die Sonne. Wir Kinder wurden daher schon früh für die Wettererscheinungen sensibilisiert.

Ich erinnere mich an meine Kindheit auf dem Bauernhof, auf dem ich mit meinen beiden Schwestern  wie im Paradies aufwuchs. Unser Garten war unser Spielplatz. Der hintere Teil des Gartens mit den Johannisbeer- und Stachelbeersträuchern war ideal zum Verstecken-Spielen; und wenn gerade Erntezeit war, bezogen wir das angrenzende Feld mit ein, weil dort die so gut zum Verstecken geeigneten Hocken standen, die Strohbunde, die zum Trocknen aufgestellt waren. Hoch oben am sommerlich blauen Himmel trillerte die Lerche.  Wo ist sie geblieben? Schon lange hört man sie nicht mehr. Auch die Schwalben, die zum typischen Bild im Sommer dazugehörten, sieht man nur noch selten. Schließlich konnte man vom Garten aus auch noch auf die angrenzenden Weiden und Wiesen laufen, wo wir im Frühling nach den Kiebitz-Nestern suchten. Nicht um die Eier zu klauen. Nein, das hätten wir niemals getan, wir waren schon als Kinder Naturschützer. Wir wollten trotzdem unbedingt wissen, wo die Nester waren. Ich erinnere mich, dass  diese Gaukler der Lüfte -  damals in Norddeutschland noch sehr verbreitete Bodenbrüter, die heute nur noch vereinzelt im Naturschutzgebiet Ochsenmoor am Dümmer anzutreffen sind - sich im Frühling und Frühsommer  sehr auffällig und dynamisch in den Lüften bewegten. Sie hoben ab in die Höhen, währenddessen sie ihre Rufe ausstießen und dann plötzlich im Sturzflug hinabglitten, allerdings um uns zu täuschen und abzulenken, die wir hier kreuz und quer über die Wiese rannten, um nach ihren Eiern zu suchen. Wo waren die Nester? Wir fanden sie nie. Und es gibt heute kaum noch Weiden und schon lange keine Kiebitz-Nester mehr. Stattdessen kann man sich die Rufe als Klingeltöne herunterladen. Wie schön idyllisch war es damals, die Kiebitze zu hören, ungestört von den Nebengeräuschen der Zivilisation. Ich habe es noch im Ohr. Kiwitt, kiwitt, kiwitt…

Gefühlter Beginn des Klimawandels

Sommer 1994, in der Nähe von Diepholz. Frühmorgens an einem Tag im Juli.  Ich wache auf und höre es tropfen. Draußen aus der Dachrinne in die Regentonne. Ich traue meinen Ohren nicht, ich höre nochmal und nochmal hin. Sollte es tatsächlich…? Ich hatte gedacht, es würde nie wieder regnen. Und doch - „tropf, tropf, tropf…“- Ich schaue aus dem Fenster, es scheint zu stimmen, es muss  in der Nacht geregnet haben. Nicht viel, aber zumindest etwas. Ein Sommerregen. Die Morgensonne schien schon wieder mit voller Kraft. Welch ein wunderbares Geräusch. Ein schöneres gibt es zu diesem Zeitpunkt nicht. Mindestens sechs Wochen hat es nicht mehr geregnet, mindestens sechs Wochen drückende Hitze. Auch keinen Gewitterregen und kein Lüftchen hatte sich bewegt. Der Garten vertrocknet.

Am nächsten Tag weht es ein wenig. Zum ersten Mal seit langem. Ich stelle mich mit ausgebreiteten, nackten Armen in den Wind und genieße den frischen Wind auf meiner Haut. Das Jahr 1994 war für mich „gefühlt“ der Beginn des Klimawandels. Es folgten weitere Jahre mit sehr trockenen Sommern, so wie ich vorher keine erlebt hatte. Mitte der 1990er Jahre nahm ich Veränderungen wahr. Mir fiel auf, dass sich das Licht verändert hat, ich empfand es plötzlich so brillant, so wie in Südfrankreich. In Norddeutschland hatte ich das bisher nie so empfunden. Seitdem gibt es häufigere, längere und wärmere Hitzeperioden.

Seit 40 Jahren etwa betreibe ich einen Garten mit Stauden und Gemüse. Als Gartenliebhaberin ist das Wetter für mich natürlich immer sehr interessant. In den meisten dieser Jahre war es eher zu trocken, als zu nass.

Eindrücke hier und heute

Herbst 2023 - es ist fast so, als würden die Naturelemente unsere Lebensart widerspiegeln: Überfluss im Überfluss. Die Flüsse laufen über.

Ich lebe in einem Haus am Waldrand im Kreis Diepholz. 2018 und 2019 sind hier im Wald einige Bäume, überwiegend Fichten und Traubenkirschen einfach vertrocknet, wie auch viele Holundersträucher.

Die Natur wirkte gespenstisch. Ganze Landstriche mit Mais (südl. Kreis Vechta) sind vertrocknet. Buschwindröschen sind in den nächsten Jahren nur noch wenige anzutreffen, Huflattich ist komplett verschwunden. Die erste Zecke meines Lebens hatte ich hier in Norddeutschland um 2007. Von da an häufig. Man kann nicht mehr so unbefangen im Gras liegen, wie man es noch in meiner Kindheit konnte. Auch Hund und Katze hatten früher ab und an eine Zecke. Aber nicht übermäßig. Nicht so, wie heute. Vogelgezwitscher ist weniger geworden. Äpfel und Birnen am Baum bekommen heute Sonnenbrand.

Ich schaue in den Himmel und sehe kaum noch Vögel, aber Zirruswolken, Kondensstreifen des Flugverkehrs. Laut einer Studie des Max-Planck Instituts tragen sie mehr zum Klimaantrieb durch den Luftverkehr bei, als dessen CO2-Emissionen. Die Hitze kann nicht entweichen…

Asiatische Hornisse, Holzbiene und viele andere haben ihren Lebensraum ausgeweitet auf Breitengrade, die früher für sie zu kalt waren. Dafür sind viele andere wegen der Monokulturen und Pestizide ausgestorben. Um die Jahrtausenderwende blühten erstmalig in meinem Leben noch zu Weihnachten Geranien. In den Pflanzkästen auf den Außen-Fensterbänken.  Es erstaunt mich, dass es Winter ohne Frost gibt.

Neujahr 2022, 14 °C und Sonnenschein, die Bienen fliegen, als wäre es Sommer. Ähnlich an Neujahr 2023. Ohnehin sind die Bienen gestresst. Ihre Lebenserwartung ist verkürzt. Die Vegetation vertrocknet und spendet keinen Nektar. Krankheiten und Schädlinge breiten sich verstärkt aus.

Die Bienen-Saison geht jetzt länger, wenn sie auch weniger Nektar bringt. Von März oder sogar Februar bis November - früher von April bis Oktober. Weihnachten 2024 blühen Rosen in meinem Garten.

Vielleicht werden wir zukünftig Insekten essen und dazu norddeutschen Weißwein trinken.

Margret Irmer, Januar 2025